Baden-Württemberg entscheidet sich für Microsoft 365

Im September haben wir einen BigBrotherAward für Baden-Württembergs Pläne mit Microsoft 365 für Schulen verliehen. Nun werden unsere Befürchtungen wahr: Das Pilotprojekt startet in den nächsten Wochen.

Im September 2020 hat die Jury der BigBrotherAwards Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann mit ihrem Negativpreis ausgezeichnet. Die ausführliche Begründung können Sie auf bigbrotherawards.de und auf unserem Blog nachlesen.

Der Plan, das Softwarepaket Microsoft 365 in die Digitale Bildungplattform des Landes zu integrieren, gefährdet den Schutz sensibler Daten von Schüler.innen und Lehrkräften. Die Ministerin und CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im kommenden Jahr beteuerte wochenlang, die Entscheidung für ein Pilotprojekt mit Microsoft 365 wäre noch gar nicht gefallen und unsere Bedenken seien nur Panikmache (so z. B. im Bildungsausschuss am 24.9.20). Doch die eindeutige Präferenz, Microsoft an Baden-Württembergs Schulen zu bringen, war in keinem Moment von der Hand zu weisen.

Nun die wenig überraschende Nachricht:

„Grünes Licht“ für den Einsatz von Microsoft-365-Werkzeugen an 20 bis 30 Berufsschulen in Baden-Württemberg. Die mehrwöchige Pilotphase startet zunächst mit Microsofts E-Mail-Adressen (Outlook), Dateiablage (OneDrive), Office-Paket (Word, Excel, Powerpoint, …) sowie dem Videokonferenz-Tool Microsoft Teams für Lehrkräfte. (Pressemitteilung 30.10.20).

Alle Fakten auf einen Blick

Sowohl das Kultusministerium, als auch der Landesdatenschutzbeauftragte haben sich zum Start des Pilotprojekts geäußert:

Kultusministerium (Pressemitteilung vom 30.10.20):

  • „Ziel des Pilotprojekts ist es, den Einsatz der Microsoft 365-Werkzeuge zu erproben und anschließend auszuwerten. Dafür werden den Lehrkräften die entsprechenden Werkzeuge zur Nutzung auf Basis einer speziell angepassten Microsoft 365 Konfiguration bereitgestellt. Für die Teilnahme am Pilotprojekt sind circa 20 bis 30 berufliche Schulen aus dem ganzen Land vorgesehen. Die Teilnahme der Schulen und Lehrkräfte erfolgt freiwillig. Alle teilnehmenden Lehrkräfte werden über ein Onlineportal begleitet. / Im Rahmen des Pilotprojekts kommen die Onlineversionen zum Einsatz. […]“

Landesdatenschutzbeauftragter Stefan Brink (Pressemitteilung vom 30.10.20):

  • „Ziel ist es, die Praktikabilität und Datenschutzkonformität der Software zu erproben und Schulen künftig eine umfangreiche digitale Arbeitsplattform anzubieten. […]“
  • „Das Kultusministerium hat nun Mitte Oktober eine zweite, ergänzte und erheblich überarbeitete Risiko-Abschätzung vorgelegt, die zwar noch nicht alle datenschutzrechtliche Fragen beantwortet, aber eine hinreichende Grundlage für den jetzt anstehenden Piloten darstellt. […]“
  • „Letztlich werden die Schulen als datenschutzrechtlich Verantwortliche entscheiden, welche digitalen Lösungen sie für die Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden einsetzen wollen. […]“

Wir hatten diese Entscheidung bereits befürchtet.

Unsere Bedenken wurden vom Kultusministerium nicht ernst genommen, und auch die Bemühungen von Elternverbänden, Gewerkschaften und anderen Expert.innen sind nicht zu den Entscheidungsträger.innen durchgedrungen – oder gezielt ignoriert worden.

Landesdatenschutzbeauftragter zieht vorsichtig mit

In der Zwischenzeit (Ende September bis Mitte Oktober) ist eine zweite Datenschutzfolgenabschätzung durchgeführt worden, die als Basis für eine Risikoeinschätzung dient. Für diese Abschätzung wurde erneut die Firma PricewaterhouseCoopers (PwC) beauftragt, die auf ihrer Website öffentlich zeigt, dass sie mit Microsoft kooperiert. Die Frage, ob PwC überhaupt in der Lage ist, eine neutrale Einschätzung abzugeben, hat es – trotz unserer BBA-Laudatio – nicht in den öffentlichen Diskurs geschafft.

Während der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink der ersten Datenschutzfolgenabschätzung noch kritisch gegenüberstand, zeigt er sich bei der zweiten Einschätzung schon optimistischer. Er wird das Kultusministerium bei dem Pilotprojekt beratend begleiten, obwohl er mit der Microsoft-Lösung noch nicht vollends zufrieden ist. Die größten Probleme sieht er auf europäischer Ebene: Durch das gekippte Datenschutzabkommen „Privacy Shield“ (Schrems-II-Urteil) steht zur Debatte, ob US-amerikanische Softwareprodukte in der EU überhaupt rechtskonform eingesetzt werden können.

Dennoch macht er in seiner Pressemitteilung deutlich, dass noch nicht alles in Ordnung sei. Er betont immer wieder, dass die Nutzung von Microsoft weiter beobachtet und analysiert werden müsse. Dass noch Nachverhandlungen mit Microsoft ausstünden und über freie Software-Alternativen für Schulen aufgeklärt werden müsse. Auch die Anzahl der Pilotschulen in diesem Projekt wurde offenbar herabgesetzt (im Herbst 2020 war noch von 70 Schulen die Rede). Also wir verstehen die Einschätzung des LfDI als „dunkelgelbes Licht“, wenn man dem symbolischen Vergleich einer Verkehrsampel folgen möchte.

Unsere Gedanken:

  • Schulen könnten ihre digitalen Werkzeuge verlieren: Dass die Entscheidung trotz rechtlicher Ungewissheit für Microsoft 365 ausgefallen ist, können wir nicht nachvollziehen. Nicht zuletzt wird riskiert, dass sich Schulen auf Microsoft einstellen und ein zukünftiges Urteil den Einsatz von Microsoft verbietet, sodass Schulen schlagartig ihre digitalen Werkzeuge verlieren. Es gibt bereits gute, freie Software-Alternativen. Das Kultusministerium selbst fördert bereits Projekte mit Freier Software, sollte alle Energie und Gelder dort platzieren, sich gänzlich von Microsoft abwenden und fokussiert freie Alternativen an Schulen bewerben.

  • Schulen werden in Schwierigkeiten gebracht: Die digitale Plattform mit Microsoft ist kein guter Service für Schulen. Diese bleiben nämlich rechtlich für die Datenverarbeitung an Schulen verantwortlich. Das Kultusministerium hat keine negativen Konsequenzen zu befürchten, bringt aber Schulen in die Bredoullie. Das ist kein vorbildliches Verhalten eines Schulministeriums; das ist Weitergabe von Verantwortung. Wenn wettbewerbsrechtliche Faktoren im Hintergrund wirken, die es notwendig machen, verschiedene Softwarelösungen anzubieten, sollten die besseren Lösungen groß beworben und die schlechteren Alternativen so wenig wie möglich verbreitet werden. Das Kultusminisrerium trägt die Entscheidung für Microsoft aber mit Stolz und Überzeugtheit vor der Brust – das finden wir nicht richtig.

  • Ausweitung ist vorprogrammiert: Wir befürchten, dass das Pilotprojekt an baden-württembergischen Berufsschulen ein Dammbruch sein wird. Es gab viele Stimmen gegen das Pilotprojekt, doch dieses darf nun trotzdem starten. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Ministerium seinen Kurs nach der Testphase geläutert und demütig wieder ändert, ist als gering einzuschätzen. Wir befürchten, dass weitere Schulen hinzukommen und die Nutzung der Produkte schlussendlich auch für andere Schulformen, sowie Schülerinnen und Schülern zur Verfügung gestellt wird. Die Ausweitung von Microsoft 365 an Schulen setzt falsche Signale für Schülerinnen und Schüler, für Lehrkräfte, Eltern und für die anderen Bundesländer.

  • Wünsche werden verdreht: Wir lesen und hören viel zu oft die Begründung des Kultusministeriums (ähnlich auch von Bereichsleiter Ralf Armbruster auf Twitter), dass fast alle Lehrerinnen und Lehrer Microsoft lieben, brauchen und wünschen würden. Wir halten dagegen: Uns erreichen Zuschriften von Lehrkräften, die keineswegs damit einverstanden sind, die aber davon berichten, dass sie abgewiesen werden und man ihre Bedenken nicht hören will. Aus unserer medienpädagogischen Arbeit wissen wir: Lehrerinnen und Lehrer wollen gut funktionierende Programme, schnelle Lösungen und Unterstützung von außen. Welchen Namen die Software trägt, ist ihnen völlig egal.

  • Kritisches Bewusstsein geht verloren: Zudem wird eine unbesorgte Nutzung von Microsoft-Produkten vermittelt: Was in der Schule genutzt wird, kann ja gar nicht so schlecht sein. Wer Microsoft in der Schule nutzt, wird die Produkte des IT-Konzerns privat oder im weiteren Leben ebenfalls nutzen. Dass viele Nutzer.innen gar nicht die Möglichkeit haben, besondere Deals (z.B. spezielle Datenschutzeinstellungen im Programmhintergrund der geplanten Version A3) mit Microsoft einzugehen, wie sie der LfDI für Baden-Württemberg aushandeln will, wird nicht bedacht. Dieses Phänomen ist bereits jetzt zu beobachten: Schulen orientieren sich an anderen Schulen und erwerben fleißig Microsofts A1-Lizenzen, bei denen sich deutlich weniger Datenschutz konfigurieren lässt. Das Kultusministerium muss viel mehr Aufklärung betreiben, welche Risikoabwägungen Schulen hier treffen müssen. Dies den oft personell schlecht ausgestatteten Schulen zu überlassen, die in diesem Jahr durch coronabedingte Schulschließungen ohnehin unter so großem Druck stehen wie nie zuvor, ist fahrlässig!

  • Diese Entwicklungen sind besorgniserregend. Wir werden uns weiterhin für Freie Software und offene Formate an Schulen einsetzen und bitten dafür um tatkräftige Unterstützung.

Lassen Sie sich nicht zu ungeeigneten Softwarelösungen überreden!

Weitere Infos, wie Sie sich für bessere Softwarelösungen einsetzen können und welche diese sein könnten, finden Sie auf unserer Website.

Jessica Wawrzyniak

Fabian Kurz, CC-BY 4.0

Jessica Wawrzyniak ist unsere Medienpädagogin im Team. Sie bringt immer gute Laune und motivierende Worte mit und ist mit ihrer Kommunikationsstärke unser roter Faden im Büro. Die Autorin des Buchs „#Kids #digital #genial“ leitet unsere AG Pädagogik und setzt sich dafür ein, Kindern und Jugendlichen einen mündigen Umgang mit Technik und Medien zu ermöglichen. Auch als Fachreferentin in Einrichtungen aller Art ist sie gefragt.

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