Microsoft 365 kostenfrei für Schulen: Geschenk oder Kalkül?

Schulen bekommen Microsoft 365-Lizenzen derzeit geschenkt, um digitales Lernen in der Corona-Krise zu erleichtern. Ein „Geschenk“ ist dies in keinster Weise!

Während sich viele Schulen vor einigen Wochen noch mit dem DigitalPakt beschäftigt haben, der langfristig zur Digitalisierung von Schulen beitragen soll, sind nun schnelle Lösungen gefragt. Plötzlich wird „Homeschooling“ zu einer modernen und notwendigen Form des Hausunterrichts mithilfe digitaler Werkzeuge. Wer sich bisher nicht viele Gedanken zur Digitalisierung der eigenen Schule gemacht hat, droht nun abgehängt zu werden.

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Microsoft will Marktmacht im Bildungsbereich ausbauen

IT-Großkonzerne wittern hier eine Chance, und besonders Microsoft möchte von der Krise profitieren. Das Unternehmen stellt seine teuren Office365-Lizenzen wegen der Corona-Pandemie derzeit kostenfrei für Schulen zur Verfügung – für das kleinste Basispaket „A1“. Dieses ermöglicht lediglich die webbasierte Nutzung einiger Microsoft-Anwendungen. Um die etwas (!) datenschutzfreundlichere Desktop-Version nutzen zu können, ist mindestens das teurere A3-Paket nötig.

[Begriffserklärung:
Das an Schulzwecke angepasste Microsoft-Paket „Office 365“ wurde am 21.04.2020 in „Microsoft 365“ umbenannt. Das Unternehmen strukturiert seine Angebote neu und erweitert einzelne Produkt-Pakete.]

Es geht um Kundengewinnung

Microsoft nutzt die Gelegenheit, um mehr denn je einen Fuß in den Bildungsbereich zu bekommen. Tatsächlich ist dieses „Geschenk“ eine Strategie zur Neukundengewinnung und um mehr Nutzer.innendaten zu bekommen. Ein Konzern arbeitet nicht für das Gemeinwohl, sondern zur Gewinnmaximierung. Wenn wir das „Geschenk“ annehmen, zahlen wir mit Daten statt mit Geld – und öffnen dem Konzern neue Türen. Schulen, die sich einmal für Microsoft365 entscheiden, geraten in Abhängigkeit zu den Produkten und wenden sich damit ab von Lösungen mit freier und offener Software. Insbesondere im Bildungsbereich ist dies aber ein Problem. Wir erklären, wieso:

Deshalb ist Microsoft365 nicht für Schulen geeignet:

  • Die Datenverarbeitung ist intransparent. Microsoft wertet jeden Klick und jeden Tastendruck in Microsoft 365 aus. Die Software ist nicht quelloffen. Die Auswertung und Weitergabe der Daten ist nach wie vor ein Firmengeheimnis und für Außenstehende intransparent.

  • Die Nutzung liegt im datenschutzrechtlichen Graubereich. Ob die Plattform den Ansprüchen des europäischen Datenschutzrechts (DSGVO) genügt, ist heftig umstritten. In einigen Bundesländern liegt demnach auch keine Freigabe für die Nutzung von Office365 vor. Wir meinen: Schüler.innendaten sollten diesem rechtlichen Graubereich nicht ausgesetzt werden.

  • Das Unternehmen setzt auf Abhängigkeit. Wer die Software einmal nutzt, bleibt dabei. Die Wechselkosten zu anderen Produkten sind zu hoch, denn sie umfassen finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen der Schule. Die Marketing-Strategie, die der Microsoft-Konzern hier nutzt, nennt sich „Lock-in-Effekt“ und verfolgt den Zweck einer engen Kundenbindung: Abhängig und eingesperrt.

  • Schulen sind kein Ort für kommerzielle Werbung. Lobbyismus und kommerzielle Werbung haben an Schulen nichts zu suchen − das gilt für IT-Unternehmen genauso wie für Coca-Cola. Schulen müssen frei, unabhängig und demokratisch agieren, um diese Werte an die Schülerinnen und Schüler weitergeben zu können. Sich in eine Abhängigkeit von Microsoft zu begeben, wird den Anforderungen des Bildungsauftrags nicht gerecht.

  • Microsoft möchte die Hoheit in der Schule, Arbeit und Zuhause. Für Schülerinnen und Schüler gilt: Was sie in der Schule nutzen, nutzen sie auch zu Hause. Die Produktpalette von Microsoft geht weit über Office 365 hinaus, der psychologische Effekt bleibt: Was in der Schule für gut befunden wird, werten Schüler.innen und Eltern als Empfehlung. Diesen Trick macht sich der Konzern zunutze – jetzt noch deutlicher: Seit April 2020 gibt es die neue Version „Microsoft 365 family“, die inhaltlich und namentlich kaum von der Schulversion zu unterscheiden ist.

Diese Aspekte gelten ebenfalls für Google, Apple und andere Unternehmen der sogenannten „Big 5“. Die Firmenkonzepte und Verkaufsstrategien unterscheiden sich gelegentlich, doch die Ziele der konkurrierenden Großkonzerne sind die gleichen. Am Ende sind es die Daten der Nutzer.innen, von denen sie profitieren.

Wir raten allen Schulen dringend von der Nutzung von Microsoft 365 ab.
Wir warnen schon lange vor der Nutzung von Microsoft-Produkten und zeigen alternative Möglichkeiten auf. Im Schulkontext, wo mit sensiblen Daten von Kindern gearbeitet wird, bekommt unsere Warnung eine noch höhere Relevanz.

Es gibt Alternativen!

Programme für Schulen schießen wie Pilze aus dem Boden. Wir haben ein paar empfehlenswerte freie Alternativen (freie Software) für Sie gesammelt.

Wieso sollte Software an Schulen frei sein? Das erklären wir Ihnen gerne in einer Artikelreihe zum Thema „Datenschutz im Bildungswesen“

Weitere Softwareempfehlungen erhalten Sie in unserem Bereich der Digitalen Selbstverteidigung.

Was macht die Daten von Kindern so besonders?

Bislang waren eher Erwachsene von der Datensammelwut von Unternehmen und Großkonzernen betroffen. Das liegt vor allem daran, dass Kinder unter 7 Jahren nicht geschäftsfähig sind und Kinder bzw. Jugendliche bis 18 Jahre nur eingeschränkt geschäftsfähig. Bürokratische Prozesse, Verträge, Versicherungen, Käufe und Registrierungen laufen zum größten Teil über die Erziehungsberechtigten. Außerdem unterliegen Kinder besonderen Schutzmaßnahmen, z.B. durch die UN-Kinderrechtskonvention, das Bundeskinderschutzgesetz und die strengeren Regeln für die Daten Minderjähriger in der DSGVO. Kinder geben also weniger Daten als Erwachsene von sich preis, was Unternehmen dazu veranlasst, auf anderen Wegen nach diesen Daten zu fischen.

Zur Schule müssen alle Kinder und Jugendlichen. Wie praktisch. Durch die Nutzung von Microsoft-Produkten (o.ä.) in der Schule, werden – neben Nutzungsdaten – sehr sensible personenbezogene Daten von Schülerinnen und Schülern digital erfasst, z.B. Noten, Fehlzeiten, Medikationen, Entwicklungsstände und Informationen über besondere Förderbedarfe. Schulen müssen im Zuge der Digitalisierung somit ein besonderes Augenmerk auf Datenschutz legen. Auch europäische Konzerne wie zum Beispiel Bertelsmann treiben die Digitalisierung des Bildungswesens nicht immer aus uneigennützigen Motiven voran.