Ein Ampelsystem für die Digitalpolitik der Ampel
Vor den Koalitionsverhandlungen haben wir 15 Mindestforderungen für eine zukunftsorientierte Digitalpolitik aufgestellt. Unsere Prioritäten haben wir an viele Fachpolitiker.innen geschickt und intensive Gespräche darüber geführt. Einige wichtige Forderungen von uns sind in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden, bei anderen sind wir noch skeptisch angesichts der Formulierungen. Über wieder andere Themen schweigt sich die Bundesregierung vorerst aus.
Unsere Prioritäten für die neue Regierung:
- Machtkonzentration der Internetmonopole brechen
- Tracking, personalisierte Werbung und Dark Patterns verbieten
- Nachhaltige digitale Bildung ermöglichen
- Biometrische Überwachung verbieten
- Digitales anonymes Bargeld schaffen
- Moratorium für kommerzielle Überwachungstechnologien
- Chatkontrolle abwenden – Privatsphäre wahren (ePrivacy)
- Public Money – Public Code
- Verfassungsschutz abwickeln
- Vollautonome Waffensysteme international ächten
- Digitalzwang vermeiden – Menschen nicht ausschließen
- Meldepflicht für IT-Sicherheitslücken
- Vorratsdatenspeicherung beerdigen
- Verschlüsselung als Grundrecht und Wirtschaftsmotor
- Anonymes Reisen
- Überwachungsgesamtrechnung
- Digitale Gewalt
- Responsible Disclosure
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Originaltext im Koalitionsvertrag
„Wir unterstützen ein Level Playing Field im Wettbewerb und setzen uns für ambitionierte Regelungen des Digital Markets Act (DMA) ein, die nicht hinter bestehende nationale Regeln zurückfallen dürfen. Dazu gehören auch europäisch einheitliche Interoperabilitätsverpflichtungen und Regelungen zur Fusionskontrolle.“ (S. 18)
„Wir setzen uns für eine missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit auf europäischer Ebene als Ultima Ratio auf verfestigten Märkten ein. Datenportabilität soll gestärkt werden. Auf EU‐Ebene setzen wir uns außerdem für eine Verabschiedung eines ambitionierten Digital Markets Act (DMA) sowie seine Durchsetzung durch die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten ein. Auf europäischer Ebene werden wir uns für eine Anpassung der Fusionskontrolle zur Unterbindung innovationshemmender strategischer Aufkäufe potenzieller Wettbewerber (sogenannte killer‐acquisitions) einsetzen.“ (S. 31)
Unsere Einschätzung: grünes Licht
Interoperabilität ist wichtig – eine Interoperabilitätspflicht könnte zum Beispiel erzwingen, dass Messenger verschiedener Anbieter miteinander Nachrichten austauschen können. WhatsApp müsste dann z.B. auch mit Signal oder Threema kommunizieren.
Das würde im besten Fall dazu führen, dass der Netzwerkeffekt aufgehoben und große Plattformkonzerne weniger allmächtig wären, als sie es heute noch sind. Denn viele Menschen hätten WhatsApp schon längst deinstalliert, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, um die Infos aus der Chatgruppe der Schulklasse, des Elternbeirats oder der Hausgemeinschaft zu bekommen.
Auch Fusionskontrolle ist wichtig und würde dafür sorgen, dass riesige Internet-Firmen wie Facebook nicht noch größer werden können, indem sie Konkurrenz einfach schlucken. Aber: Eine Reihe von Plattform-Firmen sind eben schon riesig. Deshalb ist es ein großer Schritt, dass auch Möglichkeiten zur Entflechtung geschaffen werden sollen – dafür kämpfen wir schon seit langem! Jetzt kommt es auf die Umsetzung dieser Vorhaben an, denn sie wird einen wegweisende Einfluss auf unsere Welt in den nächsten Jahrzehnten haben.
Das fordern wir
Die Monopolstellung großer Internetkonzerne schadet unserer Demokratie. Monopolisten.innen nutzen ihren Zugriff auf Daten und Finanzkraft, um breiten Einfluss auf Politik, Wissenschaft, Bildung, Medien und die öffentliche Meinung zu nehmen. Die Bundesregierung wird ein wirksames Wettbewerbsrecht mit der Möglichkeit der Entflechtung schaffen und sich in der EU für einen starken Digital Markets Act einsetzen, der zu große Machtkonzentration effektiv verhindert, schon bevor eine konkrete Marktmanipulation nachgewiesen wurde. Um eine souveräne, dezentrale Infrastruktur zu ermöglichen, engagiert sich die Bundesregierung für einen Europäischen Suchindex als positives Gegenmodell.
Originaltext im Koalitionsvertrag
Dazu haben wir nichts gefunden. Haben wir etwas übersehen? Schreiben Sie uns!
Unsere Einschätzung: rotes Licht
Ein enorm wichtiges Thema, denn Tracking sorgt nicht dafür, dass Sie Werbung sehen, die Sie interessiert. Tracking sorgt dafür, dass Sie Werbung sehen, die Sie so effektiv wie möglich manipuliert. Und das hat fatale Wirkungen auf unsere Demokratie und Gesellschaft.
Das fordern wir
Die Komplettüberwachung des Online-Verhaltens entmündigt Menschen und degradiert sie zu Objekten von technokratischen Prognosen und profitorientierter Beeinflussung. Verlage und Kreative bekommen einen immer geringeren Anteil der Werbeeinnahmen. Die Bundesregierung wird darauf hinwirken, dass Tracking, personalisierte Werbung und manipulativ gestaltete Cookie-Banner (Dark Patterns) verboten werden und lenkt stattdessen Energie in Innovation für faire, datenschutz- und gesellschaftsfreundliche Geschäftsmodelle.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Wir wollen Länder und Kommunen dauerhaft bei der Digitalisierung des Bildungswesens unterstützen. Den Mittelabruf beim Digitalpakt Schule werden wir beschleunigen und entbürokratisieren.“ (S. 96)
„Wir werden gemeinsam mit den Ländern digitale Programmstrukturen und Plattformen für Open Educational Resources¹ (OER), die Entwicklung intelligenter, auch lizenzfreier Lehr- und Lernsoftware sowie die Erstellung von Positivlisten datenschutzkonformer, digitaler Lehr- und Lernmittel unterstützen.“ (S. 96)
(¹ Im Original des Vertrags wurde „Resources“ fälschlich mit Doppel-S geschrieben.)
„Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung entwickeln wir weiter mit neuen Schwerpunkten zu digitaler Bildung, zur dritten Phase der Lehrerbildung und bundesweiter Qualitätsentwicklung des Seiten- und Quereinstiegs, u. a. für das Berufsschullehramt.“ (S. 96)
Unsere Einschätzung: gelbes Licht
Die Schwerpunkte im Bildungsbereich sind gut gewählt, doch fehlen teilweise Hinweise auf konkrete Maßnahmen und Strategien. OER-Materialien stärken Freiheiten in der Unterrichtsgestaltung, aber die Idee ist nicht neu und frühere Bemühungen zur Umsetzung wirkten eher halbherzig. Positivlisten für geeignete Schulsoftware entlasten Lehrkräfte und Schulleitungen, aber die Listen müssen gut gepflegt und mit großer Datenschutzexpertise geführt werden: Die reine DSGVO-Komformität reicht für den Einsatz an Schulen nicht aus. Die Wortwahl „auch lizenzfrei“ lässt befürchten, dass Freie Software und Freie Lizenzen noch nicht richtig verstanden wurden und nicht ausreichend im Fokus stehen werden. Außerdem: Alles steht und fällt damit, ob Lehrpersonal tatsächlich (schnell) eine bessere Aus- und Weiterbildung erhält und neue Stellen/Rollen an Schulen mitgedacht werden (z.B. im IT-Bereich). Die Richtung stimmt also, aber die Versprechungen müssen eingehalten werden und der eingeschlagene Weg noch weiter gegangen werden.
Das fordern wir
Die Bundesregierung wird zusammen mit den Ländern Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass IT-Fachpersonal, Datenschutzbeauftragte und Medienpädagog.innen Schulen unterstützen bei der Nutzung von Freier Software und eigener Infrastruktur. Digitale Bildung wird verpflichtender Teil der Lehrkräfteausbildung, um Verständnis zu fördern für Zusammenhänge von Technikgestaltung, Mediennutzung, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Statt nur zu lernen, einzelne Programmsysteme zu bedienen, werden Kinder befähigt, mit digitaler Technik mündig und kompetent umzugehen.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab. Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten.“ (S. 108f.)
„Biometrische Erkennung im öffentlichen Raum sowie automatisierte staatliche Scoring Systeme durch KI sind europarechtlich auszuschließen.“ (S. 18)
Unsere Einschätzung: grünes Licht
Das ist einer der großen Erfolge im Koalitionsvertrag. Nachdem wir schon das Europäische Parlament überzeugt haben, kommt es jetzt auf die Mitgliedsstaaten der EU an. Eine deutsche Bundesregierung, die sich gegen biometrische Überwachung im öffentlichen Raum stellt, macht hier einen riesigen Unterschied. Wir dürfen jetzt nicht nachlassen, damit den Worten auch Taten folgen.
Das fordern wir
Biometrische Überwachungstechnologien stellen eine Gefahr für Rechtsstaatlichkeit und unsere Grundfreiheiten dar und können Diskriminierungen verstärken. Die Bundesregierung wird sich für ein europaweites Verbot biometrischer Massenüberwachung einsetzen. Insbesondere der Einsatz automatisierter Gesichtserkennung im öffentlichen Raum wird staatlichen und privaten Stellen sofort verboten.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Den Prozess zur Einführung eines digitalen Euro als Ergänzung zum Bargeld, der als gesetzliches Zahlungsmittel in Europa für alle zugänglich und allgemein einsetzbar ist, wollen wir konstruktiv begleiten. Europa braucht zudem eine eigenständige Zahlungsverkehrsinfrastruktur und offene Schnittstellen für einen barrierefreien Zugang zu digitalen Finanzdienstleistungen für alle Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Händler.“ (S. 172)
Unsere Einschätzung: gelbes Licht
Die Formulierung ist noch wenig konkret. Hier wollen wir weiter dranbleiben, denn wir wollen nicht irgendeine Online-Währung. Digitales Bargeld muss anonym, sicher vor Währungsspekulationen und klimafreundlich sein!
Das fordern wir
Kryptowährungen auf Blockchain-Basis schaden durch ihren hohen Stromverbrauch dem Klima und damit der Allgemeinheit und stellen ein Datenschutzproblem dar. Die Bundesregierung wird sich für ein digitales Bargeld einsetzen, das den Schutz privater Daten gewährleistet und mit dem Währungsspekulationen und Geldwäsche nicht möglich sind. Es wird staatliches, digitales Bargeld geschaffen und derart gestaltet, dass nicht nachvollziehbar ist, wer es wann und wofür ausgibt.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Für den Einsatz von Überwachungssoftware, auch kommerzieller, setzen wir die Eingriffsschwellen hoch und passen das geltende Recht so an, dass der Einsatz nur nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes für die Online‐Durchsuchung zulässig ist. Die Befugnis des Verfassungsschutzes zum Einsatz von Überwachungssoftware wird im Rahmen der Überwachungsgesamtrechnung überprüft. Das Bundespolizeigesetz novellieren wir ohne die Befugnis zur Quellen‐TKÜ und Online‐Durchsuchung. Solange der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht sichergestellt ist, muss ihr Einsatz unterbleiben. Transparenz und effektive Kontrolle durch Aufsichtsbehörden und Parlament werden wir sicherstellen.“ (S. 109)
„Wir verfolgen im digitalen Raum eine Politik der Abrüstung. Dazu gehören auch ein Stopp der Weitergabe von Überwachungstechnologien an repressive Regime sowie der Schutz ziviler Infrastruktur vor Cyberangriffen.“ (S. 144)
Unsere Einschätzung: rotes Licht
Wir sind enttäuscht, dass der Koalitionsvertrag weiter explizit den Einsatz von kommerzieller Überwachungssoftware (wie Pegasus) vorsieht. Da tröstet es auch nicht, dass Befugnisse neu geprüft und Kontrolle vorgesehen werden soll. Denn solange der illegitime Markt für Überwachungstechnologien nicht vollständig unterbunden wird (oder sogar noch von der Bundesregierung als Kundin finanziert wird), wird die öffentliche Sicherheit kommerziellen Interessen unterworfen.
In der Europapolitik ist aber zumindest die Rede von einem „Stopp der Weitergabe von Überwachungstechnologien an repressive Regime“. Daran lässt sich anknüpfen, ein grundsätzliches Exportverbot wäre aber richtig.
Das fordern wir
Deutsche Behörden dürfen keine kommerziellen Staatstrojaner erwerben. Der Export von Überwachungstechnologien wird verboten. Der bisherige Einsatz solcher Software wird aufgeklärt.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab. Anonyme und pseudonyme Online‐Nutzung werden wir wahren.“ (S. 17)
Unsere Einschätzung: gelbes Licht
Der Koalitionsvertrag macht Hoffnung. Allerdings behaupten Überwachungspolitiker.innen auch, dass die Chatkontrolle kein Bruch der Ende-Zu-Ende-Verschlüsselung sei – schließlich werde auf dem Gerät des Clients gescannt, noch bevor die Nachricht verschlüsselt verschickt wird. Daher ist uns diese Formulierung im Koalitionsvertrag zu vage. Außerdem fällt uns auf, dass kein Verbot der Chatkontrolle durch Anbieterfirmen vorgesehen ist. Es ist also noch unklar, ob die Koalition einen ernsthaften Schutz unserer Privatsphäre plant oder nur mit Taschenspieltricks arbeitet. Wir werden ihnen zumindest genau auf die Finger schauen.
Das fordern wir
Die Bundesregierung wird sich auf europäischer Ebene für einen Schutz der Privatsphäre einsetzen und sich Ausnahmeregelungen in der ePrivacy-Richtlinie entgegenstellen.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht.“ (S. 15)
Unsere Einschätzung: grünes Licht
Wir sind zufrieden mit dem Versprechen, künftig dem Grundsatz „Public Money – Public Code” zu folgen und warten gespannt auf die Umsetzung.
Das fordern wir
Mit öffentlichen Geldern für öffentliche Verwaltungen entwickelte Software wird unter einer Freie-Software- und Open-Source-Lizenz veröffentlicht.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Die Befugnis des Verfassungsschutzes zum Einsatz von Überwachungssoftware wird im Rahmen der Überwachungsgesamtrechnung überprüft.“ (S. 109)
„Nachrichtendienste sind ein wichtiger Teil der wehrhaften Demokratie. Wir achten das verfassungsrechtliche Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendiensten. Wir stärken und bauen die Kontrolle, insbesondere die parlamentarische, aller nachrichtendienstlichen Tätigkeiten des Bundes weiter aus.“ (S. 109f.)
Unsere Einschätzung: rotes Licht
Der Koalitionsvertrag verspricht Reformen bei den Geheimdiensten, bekennt sich aber auch grundsätzlich zu ihnen. Ob die Versprechungen zu mehr Kontrolle umsetzbar oder ausreichend, sind bleibt abzuwarten – in der Vergangenheit hat das nie geklappt. Hier hätten wir mehr Mut erwartet.
Das fordern wir
Der Verfassungsschutz wird aufgelöst und ersetzt durch eine transparent arbeitende, demokratisch kontrollierbare Behörde.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Letale Autonome Waffensysteme, die vollständig der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab. Deren internationale Ächtung treiben wir aktiv voran.“ (S. 145)
Unsere Einschätzung: gelbes Licht
Internationale Abkommen zu verhandeln, die autonome (letale) Waffensysteme ächten, ist mit Blick auf die Zukunft gut. Doch noch gibt es wohl keine Systeme, die „vollständig der Verfügung des Menschen entzogen sind”. Deshalb müssen wir auch kritisch auf den Einsatz von semi-autonomen Waffensystemen blicken.
Das fordern wir
Waffen dürfen niemals selbstständig entscheiden, ob sie einen Menschen verletzen oder töten. Die Bundesregierung wird auf ein weltweites Verbot von autonomen Waffensystemen hinwirken.
Originaltext im Koalitionsvertrag
Dazu haben wir nichts gefunden. Haben wir etwas übersehen?
Das fordern wir
Die Teilhabe am öffentlichen Leben wird auch für Menschen gewährleistet, die bestimmte digitale Anwendungen oder Technologien nicht nutzen können oder wollen.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Wir verpflichten alle staatlichen Stellen, ihnen bekannte Sicherheitslücken beim BSI zu melden und sich regelmäßig einer externen Überprüfung ihrer IT‐Systeme zu unterziehen.“ (S. 16)
„Der Staat wird daher keine Sicherheitslücken ankaufen oder offenhalten, sondern sich in einem Schwachstellenmanagement unter Federführung eines unabhängigeren Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik immer um die schnellstmögliche Schließung bemühen.“ (S. 109)
Unsere Einschätzung: gelbes Licht
Die angekündigte Meldepflicht begrüßen wir sehr. Wir vermissen allerdings ein Verbot der Nutzung von Sicherheitslücken, sogenannten „Zero-Days“. Dass der Einsatz kommerzieller Überwachungssoftware weiter explizit vorgesehen wird (siehe oben), beißt sich mit der Behauptung, keine Sicherheitslücken einkaufen zu wollen.
Das fordern wir
Um die Sicherheit von Privatpersonen und Unternehmen nicht fahrlässig zu gefährden, wird Behörden die Nutzung von „Zero-Days“ verboten. Stattdessen werden sie verpflichtet, ihnen bekannte Schwachstellen zu melden und auf deren Schließung hinzuwirken.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Angesichts der gegenwärtigen rechtlichen Unsicherheit, des bevorstehenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs und der daraus resultierenden sicherheitspolitischen Herausforderungen werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können.“ (S. 109)
Unsere Einschätzung: gelbes Licht
Leider verabschiedet sich auch die neue Regierung nicht aus voller Überzeugung und endgültig von der Vorratsdatenspeicherung. Wir hätten uns gewünscht, dass die neue Regierung versteht, dass Vorratsdatenspeicherung falsch ist, demokratische Werte zersetzt und Selbstzensur fördert – und deshalb abgeschafft gehört. Stattdessen steht jetzt im Koalitionsvertrag eine Formulierung, die in etwa aussagt: „Aus pragmatischen Gründen, damit die Gerichte es nicht gleich wieder kippen, machen wir das jetzt erstmal nicht mehr. Zumindest nicht in der bisherigen Form.” Wir befürchten also, dass die Vorratsdatenspeicherung damit noch nicht ganz abgehandelt ist. Darum möchten wir hier noch keine Entwarnung geben, sondern werden uns die konkreten Vorschläge der Koalition ganz genau anschauen.
Das fordern wir
Vorratsdatenspeicherung verhindert keine Verbrechen, sondern missachtet die Grundrechte der Bürger.innen und schadet der Wirtschaft. Zukünftig gilt deshalb: Eine anlasslose Speicherung von Verbindungsdaten findet nicht statt.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Wir führen ein Recht auf Verschlüsselung, ein wirksames Schwachstellenmanagement, mit dem Ziel Sicherheitslücken zu schließen, und die Vorgaben ,security‐by‐design/default' ein. Auch der Staat muss verpflichtend die Möglichkeit echter verschlüsselter Kommunikation anbieten.“ (S. 16)
„Wir wollen eine Verpflichtung zur Interoperabilität auf europäischer Ebene und über das GWB für marktbeherrschende Unternehmen verankern. Dabei sollen – basierend auf internationalen technischen Standards – das Kommunikationsgeheimnis, ein hoher Datenschutz und hohe IT‐Sicherheit sowie eine durchgängige Ende‐zu‐Ende‐Verschlüsselung sichergestellt werden.“ (S. 31)
Unsere Einschätzung: grünes Licht
Ein Schritt in die richtige Richtung.
Das fordern wir
Die Bundesregierung wird das uneingeschränkte Recht auf Verschlüsselung als Grundrechtsschutz und Standortfaktor verteidigen.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten.“ (S. 108f)
Unsere Einschätzung: gelbes Licht
Der Koalitionsvertrag bietet hier einen Anknüpfungspunkt, aber ein explizites Bekenntnis zum anonymen Reisen vermissen wir. Hier müssen wir noch Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit leisten.
Das fordern wir
Die Möglichkeit des anonymen Reisens innerhalb Europas mit öffentlichen und individuellen Verkehrsmitteln wird gewährleistet.
Weitere erwähnenswerte Themen
Natürlich haben wir noch weitere Themen und Forderungen an denen wir arbeiten. Unter anderem sind uns auch diese Stellen im Koalitionsvertrag aufgefallen:
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Die Eingriffe des Staates in die bürgerlichen Freiheitsrechte müssen stets gut begründet und in ihrer Gesamtwirkung betrachtet werden. Die Sicherheitsgesetze wollen wir auf ihre tatsächlichen und rechtlichen Auswirkungen sowie auf ihre Effektivität hin evaluieren. Deshalb erstellen wir eine Überwachungsgesamtrechnung und bis spätestens Ende 2023 eine unabhängige wissenschaftliche Evaluation der Sicherheitsgesetze und ihrer Auswirkungen auf Freiheit und Demokratie im Lichte technischer Entwicklungen. Jede zukünftige Gesetzgebung muss diesen Grundsätzen genügen. Dafür schaffen wir ein unabhängiges Expertengremium (Freiheitskommission), das bei zukünftigen Sicherheitsgesetzgebungsvorhaben berät und Freiheitseinschränkungen evaluiert.“ (S. 108)
Unsere Einschätzung: grünes Licht
Sehr gut. Das ist ein großer Erfolg für uns – auch wenn es mit der Umsetzung noch dauern wird.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Mit einem Gesetz gegen digitale Gewalt werden wir rechtliche Hürden für Betroffene, wie Lücken bei Auskunftsrechten, abbauen und umfassende Beratungsangebote aufsetzen. Wir schaffen die rechtlichen Rahmenbedingungen für elektronische Verfahren zur Anzeigenerstattung und für private Verfahren und ermöglichen richterlich angeordnete Accountsperren.“ (S. 17)
„Die Istanbul‐Konvention setzen wir auch im digitalen Raum und mit einer staatlichen Koordinierungsstelle vorbehaltlos und wirksam um.“ (S. 114)
Unsere Einschätzung: grünes Licht
Die Koalition will sich diesem Thema annehmen und wir sind gespannt auf die Umsetzung. Das wollen wir gerne konstruktiv begleiten.
Originaltext im Koalitionsvertrag
„Das Identifizieren, Melden und Schließen von Sicherheitslücken in einem verantwortlichen Verfahren, z. B. in der IT‐Sicherheitsforschung, soll legal durchführbar sein.” (S.16)
Unsere Einschätzung: grünes Licht
Die neue Regierung bekennt sich zum Responsible Disclosure Verfahren und einer Abschaffung bzw. Reform des sogenannten „Hacker.innenparagrafen”. Endlich!
Fazit
Unser Eindruck vom Koalitionsvertrag: Darin lässt sich Positives finden. Vielleicht können mit dieser Koalition gute Projekte gestartet und Weichen gestellt werden. Aber vieles ist noch zu vage. Deshalb werden wir uns weiter schonungslos für eine couragierte Digitalpolitik einsetzen – egal wer gerade regiert.
Sie haben noch etwas gefunden zu unseren Prioritäten, das hier nicht aufgeführt wurde? Dann schreiben Sie uns gerne an mail@digitalcourage.de