Schulen in Baden-Württemberg alleingelassen
Am 30.4. kündigte das zentrale Rechenzentrum BelWü in Baden-Württemberg seine zentralen Open Source-Dienste für über 2000 Schulen im Land. Ab 1.10.2021 ist Schluss. (Wortlaut des Schreibens siehe unten)
Damit stehen Baden-Württembergs Schulen ab Herbst ohne Hosting für Homepages, Wikis, Foren, Nextclouds und selbstverwaltete Moodle-Auftritte da. Für ihre Webdienstleistungen, aber auch für notwendige Domains, sollen sich die Schulen bei privaten Dienstleistern versorgen: „Wir können und dürfen ihnen keine alternativen Anbieter vorschlagen. Bitte recherchieren Sie auf dem Markt“, heißt es in der Meldung von BelWü.
Die Entscheidung geht demnach zurück auf eine „einvernehmliche Entscheidung“ zwischen Wissenschafts- und Kultusministerium in der vergangenen Woche. Eine Begründung wurde bis zum Redaktionsschluss dieses Blogbeitrags (3.5.2021, 12:30 Uhr) noch nicht geliefert.
Die Kündigung durch BelWü trifft die Schulen, vor allem die Unterrichtsqualität und damit die Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern in Baden-Württemberg, hart. Jessica Wawrzyniak, Medienpädagogin bei Digitalcourage:
„Das System war vorbildlich, und mir fehlen die Worte, dass hier politisch nicht für eine ausreichende kontinuierliche Ausstattung gesorgt wurde. Wie kann man mitten in der Pandemie ein laufendes System für digitalen Unterricht so vor die Wand fahren? Vor allem dass keine Begründung geliefert wird, ist unverzeihlich, sorgt jetzt für Spekulationen und stürzt alle Beteiligten unnötigerweise wieder in Unklarheiten.“
Schulen, die ein selbstverwaltetes Moodle bei BelWü hosten, müssen ab Oktober 2021 einen anderen Hoster finden – auf eigene Faust. Dies betrifft auch eine Reihe andere Programme und dürfte sich im Falle der Verwendung von Nextcloud ebenfalls massiv auf Schulen auswirken. Jessica Wawrzyniak:
„Hinzu kommt erschwerend, dass fast zeitgleich die abschließende Bewertung des Landesdatenschutzbeauftragten von Baden-Württemberg vorgelegt wurde, dass Microsoft 365 ebenfalls nicht verwendet werden darf. Das heißt, dass auch die Schulen, die auf MS 365 gesetzt haben, bis Herbst eine andere Lösung brauchen.“
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Das Schreiben im Wortlaut
„Sehr geehrte Schulleiterin, sehr geehrter Schulleiter,
sehr geehrte Damen und Herren,
wir möchten Sie mit dieser E-Mail über anstehende Veränderungen im Bereich der von BelWü angebotenen Dienste informieren. [...]
Ausgangspunkt für diese Änderungen sind nicht nur veränderte rechtliche Rahmenbedingungen (u. a. Vergaberecht, Steuerrecht), die in voller Auswirkung spätestens 2023 zum Tragen kommen, sondern auch die Beobachtung, dass die in den letzten Monaten ausgebauten Angebote im Bereich der digitalen Unterstützung von Lehre und Kommunikation eine langfristige Perspektive für einen gesicherten Betrieb benötigen, die wir im Rahmen der auf eine Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport im Jahr 1997 zurückgehenden Kooperation mit BelWü aus verschiedenen Gründen nicht verlässlich dauerhaft erbringen können. [...]“
Es wird erklärt, dass für die Nutzung der Dienste „E-Mail“ und von BelWü verwaltete Moodle-Instanzen (etwa 1000) zunächst keine Einschränkungen bestehen werden. Diese sollen mittelfristig von einem anderen Dienstleister übernommen werden. Um welchen Dienstleister es sich handelt, wird nicht genannt.
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Wer ist verantwortlich?
Dass die Koperation zwischen dem Kultusministerium und BelWü nicht dauerhaft Bestand haben würde, war abzusehen. Das Rechenzentrum war im Zuge der Pandemie tatkräftig eingesprungen, um zu helfen: Bislang hatte der Dienstleister Moodle-Instanzen für etwa 1000 Schulen angeboten und diese in kürzester Zeit verfünffacht. Er kündigte aber an, dass bald eine Grenze der Kapazität erreicht wird, allein schon durch eine begrenzte Anzahl an Support leistenden Mitarbeiter.innen (c't 10/2021).
Wer die Entscheidung, die Schulen nicht mehr von BelWü betreuen zu lassen, nun letztendlich zu verantworten hat, ist noch unklar. Verwiesen wird auf das Wissenschafts- und das Kultusministerium. Festzuhalten ist auf jeden Fall ein Kommunikationsdesaster: Statt dass die beiden Ministerien ihre Entscheidung öffentlich erklären und Alternativen aufzeigen, werden die Schulen, die Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern mit der Kündigung ohne Begründung allein gelassen.
Weitere Infos zum Thema Freie Schulsoftware
In unserer Artikelreihe „Datenschutz im Bildungswesen“ erklären wir, wieso Software von Microsoft, Google & Co. nichts an Bildungsinstitutionen zu suchen hat.
Auch im DigitalPakt Schule wird Freie Software aus gutem Grund priorisiert gefordert (Teil 1).
Wir erklären außerdem, wie negativ sich proprietäre (geschlossene) Software auf Medienkompetenz auswirkt (Teil 2),
zeigen auf, welche datenfressende Software bereits an Schulen im Umlauf ist (Teil 3)
und welche besseren freien Alternativen es gibt (Teil 4).