Freiheit vs. Sicherheit – Sicherheitstheater auf Festivals
Jedes Jahr versammeln sich tausende Menschen, um zusammen dem Alltag zu entfliehen und für ein paar Tage in eine Parallelwelt abzusteigen, in der sich alles um Musik, Kultur und ein friedliches Miteinander dreht. Doch wie immer, wenn viele Menschen zusammenkommen, lassen sich Auseinandersetzungen nicht ganz vermeiden. Die Orga-Teams der Festivals setzen darum auf eine Vielzahl von Maßnahmen, die die Sicherheit gewährleisten sollen. Doch kann es wirklich sinnvoll sein, dass ein Festival Wasserflaschen verbietet, obwohl die Gäste bei 30 Grad in der Sonne schwitzen? Bringt Videoüberwachung auf dem Festivalgelände wirklich mehr Sicherheit oder bewirkt sie stattdessen das Gegenteil und hemmt Zivilcourage? Festivals veranstalten von Jahr zu Jahr ein größeres Sicherheitstheater, doch die meisten Maßnahmen dienen lediglich der Überwachung. Allerdings ist Sicherheit durch Überwachung ein gefährliches Versprechen.
Mit der Entwicklung neuer Techniken bekamen auch Festivals die Möglichkeit, ihr Sicherheitskonzept zu verändern. Viele Festivals (z. B. Deichbrand, Southside und Bochum Total) versprechen sich von Video- und/oder Drohnenüberwachung eine kostengünstige Möglichkeit, Sicherheitspersonal zu entlasten, potentielle Straftäter abzuschrecken und bessere Aufklärung. Selbst auf kleinen Festivals, wie dem Lautfeuer in Lingen, werden seit diesem Jahr Videokameras eingesetzt. Mittels Software und Beobachtungen ließen sich so gefährliche Situationen erkennen und vermeiden. Das ist gut gemeint, aber zu kurz gedacht, denn im Falle einer körperlichen Auseinandersetzung, hat sich noch keine Kamera vor eine angreifende Person geworfen. Bis personelle Hilfe vor Ort ist und eingreifen kann, sind viele Gewalttaten bereits vorüber und der Täter ist auf der Flucht. Dem Opfer nutzt Videoüberwachung somit akut wenig.
Auch die weit verbreitete Annahme, dass Videoüberwachung einen Abschreckungseffekt hätte, konnte in zahlreichen Studien bisher nichts nachgewiesen werden.
Einen Abschreckungeffekt gibt es jedoch aus unserer Sicht: Kameras hemmen Zivilcourage. Die Anwesenheit von Kameras führt dazu, dass sich Andere seltener einmischen. Denn für Zivilcourage ist es entscheidend, ob man sich zuständig fühlt. Kameras liefern eine gute Ausrede: Es kümmert sich bestimmt jemand anderes darum.
Argumentiert wird auch oft mit der Aufklärung von Straftaten im Nachhinein. Doch das impliziert die Aufnahme und die Speicherung aller Videobilder, auch von denen, auf denen nichts passiert.
Die Wirksamkeit von Videoüberwachung ist nicht gesichert. Wir haben uns wissenschaftliche Studien angeschaut. Das Fazit lautet: Videoüberwachung wirkt nicht so, wie sie angepriesen wird – mehr Sicherheit gibt es nicht.
Natürlich ist Aufklärung wichtig, jedoch muss sie auch immer die Verhältnismäßigkeit beachtet werden: Aufklärung allein rechtfertigt nicht, dass dafür unsere Grundrechte beschnitten werden.
Für unsere Recherche haben wir 20 Festivals angeschrieben und uns über ihr Sicherheitskonzept erkundigt. Leider wollte sich niemand zu unseren Fragen äußern. Wir werden diesen Artikel per E-Mail an die Festivals schicken, denn wir wünschen uns eine überwachungsfreie Festivalsaison 2020.
Liebe Festival-Orga-Teams: bitte sorgt für Sicherheit, nicht für Überwachung!
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Auch das Wacken-Festival nutzt ein Sicherheitskonzept mit Videoüberwachung. Die Polizei ist dort mit Drohnen unterwegs, die über die Menge hinwegfliegen, um von dort Gefahrensituationen und kritische Verkehrslagen frühzeitig erkennen zu können, angeblich aber nicht, um Festivalbesucher im Detail zu beobachten. Doch die Drohne erregt Aufmerksamkeit. Ein lautes Surren in der Luft verkündet ihre Präsenz und die Reaktionen folgten:
„Ist das Wacken in den letzten Jahren derart unsicher und unkoordiniert gewesen, dass ein Drohneneinsatz jetzt notwendig ist? Die Polizei kann ja aufklären wie sie will, ist ja schön und gut - aber wenn man schon liest "IM NORMALFALL überträgt sie nur, zeichnet nicht auf", dann ist Pessimismus angesagt. Wenn Aufzeichnungen zur Strafverfolgung möglich sind und offensichtlich auch gemacht werden, frage ich mich, was eine Aufzeichnung NACH einer Straftat bringen soll - wenn die Drohne also zum Zwecke der Strafverfolgung aufzeichnen KANN, dann ist es nur sinnvoll, wenn sie bereits vor Tatbegehung aufzeichnet. Wenn sie dazu dienen soll, einen möglichen Täter aufgrund einer Personenbeschreibung auf dem Gelände ausfindig zu machen, nachdem eine Tat begangen wurde, dann ist die Aussage, dass keine Detailaufnahmen der Besucher gemacht werden, hinfällig.“
- Rene Menzel (29.07.2019), Antwort auf einen Facebookbeitrag von Wacken Open Air
„Bla bla bla! Überwachung bleibt Überwachung! Da können noch 12 weitere Vorwände folgen, es ändert an der Tatsache nichts. Beklemmendes Gefühl auf einem Festival. Freiheit stirbt mit Sicherheit!“
- André Kröber (29.07.2019), Antwort auf einen Facebookbeitrag von Wacken Open Air
„Und wenn es anderswo normal sein sollte, ist es dennoch ein - aus meiner Sicht - anlassloses Ausspionieren [...]! Ich finde es ätzend, überflüssig, totalitär .... denn ja, ich habe etwas zu verbergen! Meine Privatsphäre nämlich!“
- Thomas Deierling (29.07.2019), Antwort auf einen Facebookbeitrag von Wacken Open Air
„Diese ganzen Kommentare hier machen mir Angst. Ich dachte, dieses "Wer nichts zu verbergen hat …"-Gelaber käme nur von Politikern und Polizeichefs, die Bock auf totale Überwachung haben“
- Marek Firlej (29.07.2019), Antwort auf einen Facebookbeitrag von Wacken Open Air
Viele Festivalgäste waren erfreut über die Drohnen, vielleicht, weil sie glauben, nichts zu verbergen zu haben. Sie versprachen sich mehr Sicherheit und waren bereit, sich dafür überwachen zu lassen. Die mehr oder weniger freiwillige Aufgabe von Grundrechten ist aus unserer Sicht eine Folge der rethorisch forcierten Angst vor Kriminalität und Terror. Trotz der niedrigsten Kriminalitätsrate seit 25 Jahren, wird Menschen Angst eingeredet, um Überwachungsmaßnahmen durchzusetzen, anstatt politisch auf die Ursachen von Kriminalität einzugehen. Wir nennen diese Politik Sicherheitstheater.
Besucher eines Festivals wollen sich frei fühlen. Frei von Zwängen. Und dazu gehört auch, sich ausleben zu können. Kameras stören dabei, denn sie schrecken ab und verleiten zur Selbstzensur. Eine Drohne, oder auch eine Videokamera, führt dazu, dass Menschen sich beobachtet fühlen.
Dabei ist es egal ob wir etwas Verbotenes machen, das Gefühl, dass jemand zuschauen könnte, reicht aus – wir zensieren uns selbst, um bloß nicht aufzufallen. Videoüberwachung schränkt unsere Freiheit ein und das in größerem Maße, als uns bewusst ist.
Grade auf Festivals sollte es aus unserer Sicht jedoch möglich sein, seinen Mitmenschen offen und aufgeschlossen gegenüberzutreten. Allein die Tatsache, dass sich einige unwohl fühlen, reicht schon, um die Videoüberwachung anzuzweifeln, denn Menschen, die sich überwacht fühlen, ändern ihr Verhalten.
Während das Wacken-Festival die enge Zusammenarbeit mit der Polizei feiert, wehrte sich die Fusion dieses Jahr erfolgreich gegen das anlasslose Sicherheitstheater. Nachdem im Vorfeld des Festivals bekannt wurde, dass der zuständige Polizeipräsident Nils Hoffmann-Ritterbusch einen Polizeieinsatz mit 1.000 Polizist.innen, Wasserwerfern und Räumpanzern plante, mobilisierte die Fusion in einer Unterschriftenaktion 113.000 Unterzeichner.innen. Unter dem Druck der Zivilgesellschaft gab der Polizeipräsident letztendlich das Vorhaben auf. Doch warum stand ein solches Konzept überhaupt zur Diskussion? Die Fusion ist eins der sichersten Festivals überhaupt – und das bisher ganz ohne Polizei. Klar ist, dass es auch anders geht, ohne Überwachung und dauerhafte Polizeipräsenz.
Grundlage für den Einsatz der Polizei bei Festivals sind die Polizeigesetze der Länder. Diese wurden massiv verschärft, in dem den Polizeien unverhältnismäßige Befugnisse u.a. zur Überwachung, zur Gewahrsamnahme und zum Eingreifen im Vorfeld von Straftaten eingeräumt wurden. Gegen die Polizeigesetze in Sachsen und Niedersachsen haben wir mehrfach Stellungnahmen geschrieben, gegen das Polizeigesetz in NRW haben wir eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Mit einem Appell gegen Polizeigesetze und innere Aufrüstung haben wir uns an Politiker.innen in allen Parlamenten gewendet.
Damit Festivals Freiräume bleiben, müssen sie, unserer Einschätzung nach, vor Repression auf Grundlage der unverhältnismäßg verschärften Polizeigesetze geschützt werden. Wer ein Festival organisiert, sollte sich kritisch mit den geltenden Polizeigesetzen vertraut machen.
Natürlich ist Sicherheit wichtig und es braucht Anti-Konflikt-Teams und Sicherheitspersonal, welches in Notsituationen eingreifen kann und ansprechbar ist. Doch das „Wie“ ist entscheidend.
Drohnen- und Videoüberwachung bringen, wie beschrieben, unterm Strich keinen Mehrwert für die Sicherheit der Gäste. Persönliche Anwesenheit von Anti-Konflikt-Teams allerdings schon. Kommt es zu einer Auseinandersetzung, können sie direkt einschreiten, schlimmeres verhindern und die Straftat kann geahndet werden. Doch auch hier ist es wichtig, ein gewisses Maß nicht zu überschreiten, damit sich die Festivalgäste nicht überwacht fühlen. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Lautfeuer (damals noch Abifestival) beschreibt ein erfolgsversprechendes Sicherheitskonzept wie folgt:
„Privates Sicherheitspersonal, unterstützt durch viele freiwillige Helfer, begegnet den Besuchern auf Augenhöhe. Polizeibeamte auf dem Festival hingegen stören in gewissem Maße die freiheitliche und liebevolle Festivalatmosphäre, die sich vom alltäglichen öffentlichen Leben abzugrenzen versucht.“
– Nisse Oberwalleney –
Jedoch geht es bei übertriebenen, anlasslosen Sicherheitskonzepten nicht nur um Personalaufgebot und Videoüberwachung. Auch absurde und sinnlose Verbote schränken Festivalbesucher ein. Beispielsweise wurden am Eingang der Pyronale in Berlin den Besuchern die Plastikflaschen mit Wasser abgenommen. Aus Sicherheitsgründen. Draußen schwitzen die Gäste bei 30 Grad und auf dem Festivalgelände wird einem später am Getränkestand nach einer halben Stunde Wartezeit ein Hartplastik-Becher in die Hand gedrückt. Das hat nichts mehr mit Schutz zu tun. Vielmehr stecken Kommerzgründe hinter solchen sinnlosen Verboten und die Festivalbesucher.innen müssen sich diesen Demütigungsritualen an den Eingängen aussetzen. Sicherheitstrolle verbreiten das Sicherheitstheater und Organisator.innen machen mit.
Festivals sollen Spaß machen, Menschen zusammenbringen und eine angenehme, offene Atmosphäre schaffen!
Natürlich darf die Sicherheit nicht zu kurz kommen, aber als Organisator.in sollte immer überlegt werden: Ist das wirklich sinnvoll für mehr Sicherheit und brauche ich dieses Sicherheitstheater wirklich?
Festivalgäste sind Menschen, die ein Recht auf Privatsphäre und freie Entfaltung haben. Menschen, die nicht als potentielle Straftäter angesehen werden sollten, sondern als Gäste. Und Gäste werden mit Respekt behandelt, denn dann werden sie auch anderen Respekt entgegenbringen. Eingriffe in die Privatsphäre sind nur im Ausnahmefall notwendig – sie zum Standard zu machen ist falsch. Und auch die Gäste sollten das Sicherheitstheater nicht unhinterfragt akzeptieren, denn das Recht auf Privatsphäre ist nicht banal.
„Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“
- Ursprung des Zitats unklar