Staatstrojaner: SPD und Union wollen Verfassungsschutz aufrüsten

Der „Verfassungsschutz“ soll die Lizenz zum Hacken bekommen. SPD-Justizministerin Lambrecht unterschätzt die Gefahr durch die demokratiefeindliche Behörde. IT-Unsicherheit wird in Kauf genommen.

Die CSU und Bundesinnenminister Seehofer wollen den Einsatz von Staatstrojaner auch für den sogenannten Verfassungsschutz erlauben. Laut Bericht des Spiegels vom 18. Februar 2020 gibt die SPD „ihren Widerstand gegen die Pläne offenbar auf“. Mit marginalen Änderungen an einem Entwurf für ein neues Verfassungsschutzgesetz konnte sich Seehofer demnach durchsetzen. Staatstrojaner sind technisch gefährlich und politisch falsch. Die SPD könnte den Kurs korrigieren und Rückgrat zeigen gegen Geheimdienst-Staatstrojaner.

Was ist geplant?

Der Entwurf für das geplante Gesetz wurde bislang in der Presse lediglich zitiert, aber nicht veröffentlicht. Berichtet wird, dass das Bundesamt für „Verfassungsschutz“ heimlich Staatstrojaner auf Kommunikationsgeräte von Verdächtigen installieren soll. Vorgesehen ist das bei „besonders schweren Bedrohungen“. Dabei geht es um zwei Maßnahmen:
Erstens, um die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Dabei müssen Beamte Sicherheitslücken in Android, iOS und anderen Betriebssystemen ausnutzen, um heimlich Schadsoftware zu installieren. Das Ziel ist, Nachrichten von WhatsApp, Telegram und anderen Messengern mitlesen zu können, bevor sie verschlüsselt werden, beziehungsweise nachdem sie auf dem empfangenden Gerät entschlüsselt wurden. 
Zweitens, bei der sogenannten Online-Durchsuchung wird in gleicher Weise Schadsoftware installiert, allerdings mit dem Ziel, alle Daten auf dem betroffenen Gerät durchsuchen und auslesen zu können.

Staatstrojaner sind die falsche politische Antwort

Die Aufrüstung des „Verfassungsschutzes“ wird als Sicherheitsmaßnahme gerechtfertigt:
Als Begründung werden in dem Entwurf 'die aktuellen Herausforderungen' im Bereich des 'internationalen Terrorismus und des Rechtsterrorismus'“, Quelle: Spiegel.de
Unserer Einschätzung nach ist diese Begründung irreführend: Jahrzehnte lang wurde rechte Gewalt ignoriert. 
Daraus zu schlussfolgern, das Bundesamt für „Verfassungsschutz“ brauche mehr Befugnisse, ist jedoch keine Lösung, sondern schafft mehr Probleme: Das Bundesamt ist nachweislich in die NSU-Morde verstrickt, arbeitet intransparent und entzieht sich weitgehend demokratischer Kontrolle. Dieser Behörde sollten wir nicht die Befugnis geben,  heimlich Schadsoftware einzusetzen, wofür Sicherheitslücken auf allen Kommunikationsgeräten notwendig sind.

In den Fällen der NSU-Morde und des Terroranschlags von Anis Amri waren die Täter behördlich bekannt. Fehlende Daten, fehlende Überwachungs- und Identifizierungsmöglichkeiten waren nicht das Problem für die Ermittlungsbehörden. Erläutert hat das Sascha Lobo in dem Text „Klare Zahlen gegen Massenüberwachung“ auf netzpolitik.org.

Polizeien und Ermittlungsbehörden verfügen über ausreichend Kompetenzen, um Verbrechen aufzuklären und zu verfolgen – auch im Vorfeld. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die undemokratischste und am wenigsten rechsstaatliche Behörde einen gesetzlichen Generalsschlüssel für jedes Kommunikationsgerät bekommen soll. Es gibt sinnvollere Maßnahmen, die vom Gesetzgeber allerdings ignoriert werden.

Der „Verfassungsschutz“ ist gefährlich

Die mitverantwortliche SPD sollte sich die Frage stellen: Wie soll eine Behörde, die mit ihrer Rolle bei den NSU-Morden bewiesen hat, dass sie eine Gefahr für die Bevölkerung darstellt, für mehr Sicherheit sorgen?
Der sogenannte Verfassungsschutz ist auf dem rechten Auge blind und kann darum keine Lösung für die Gefahren von rechtem Terror sein. Er ist tief in Neonazi-Szenen verstrickt  und hat darum 2016 einen BigBrotherAward für sein Lebenswerk erhalten, unter anderem, weil er ein „skrupelloses Vertuschungssystem betreibt, wichtige Beweismittel und brisante Akten geschreddert hat, und so jede parlamentarische Kontrolle torpediert“ hat. In seiner Laudatio stellt der Bürgerrechtler Dr. Rolf Gössner weiter fest: Dieser Geheimdienst ist „heillos verstrickt in Neonazi-Szenen“ und begründet unter anderem wie folgt:
„Der „Verfassungsschutz“ war in den 90er Jahren aktiv an Aufbau und Betrieb des rechtsextremen Thule-Netzes beteiligt. Thule diente der Vernetzung, Kommunikation und Koordination von Neonazis im ganzen Bundesgebiet. Einer der Hauptbetreiber war V-Mann des bayerischen „Verfassungsschutzes“, der eigens in die Neonaziszene eingeschleust wurde, monatlich 800 DM erhalten haben soll, sowie Auslagen für Technik und Betrieb. Insgesamt sollen für diese Nazi-Aufbau- und Vernetzungsarbeit mehr als 150.000 DM Steuergelder geflossen sein. (SZ 15.11.2012 [2])“
 
BigBrotherAward für den „Verfassungsschutz“: Hier die ganze Laudatio nachlesen und das Video ansehen.
 
Der „Verfassungschutz“ hat durch die Finanzierung und Deckung von V-Leuten die organisierte Kriminalität sogar tatkräftig unterstützt. Gleichzeitig wurden die Aufklärung der Morde und Verbrechen des NSU blockiert und in großem Umfang Akten vernichtet. Ein Mitarbeiter der Behörde hat das rechtsextreme Netzwerk Uniter e.V. gegründet. 

Staatstrojaner sind ein IT-Sicherheitsproblem

Staatstrojaner werden über Sicherheitslücken installiert, die dafür in jedem Smartphone, Computer, Tablet und in jeder Spielekonsole vorhanden sein müssen. Diese Hintertüren können neben der jeweiligen Behörde auch alle möglichen anderen Geheimdienste oder Kriminelle nutzen, um in unsere Geräte einzusteigen.
Denn eine Behörde, die Staatstrojaner einsetzen darf, hat ein Interesse daran, dass die dafür notwendigen Sicherheitslücken (sogenannte „Zero-Days“ oder „0-Days“) nicht geschlossen werden. Polizeien und Verfassungsschutz werden also Sicherheitslücken bei den Software-Herstellern nicht melden, um sie schließen zu lassen, sondern sie werden Sicherheitslücken suchen, geheim halten, einkaufen und ausnutzen. Das ist ein Problem für Privatpersonen, Geheimnisträger und Unternehmen. 
Mit Staatstrojanern verletzt der Staat seine Schutzpflicht. Denn in einem demokratischen Rechtsstaat sollte die Regierung die Bevölkerung und deren Privatsphäre vor Überwachung schützen. Wir wollen unseren Geräten vertrauen können – und wir haben ein Recht darauf. Aber Staatstrojaner verletzen unser Grundrecht auf „Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ (Wikipedia)

Wir klagen gegen Staatstrojaner für die Polizei

Am 7. August 2018 haben wir unsere Verfassungsbeschwerde gegen Staatstrojaner in der Strafprozessordnung in Karlsruhe eingereicht. Wir wollen, dass das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ für verfassungswidrig und nichtig erklärt wird. Mit dem Gesetz hat die große Koalition die Strafprozessordnung geändert, um Staatstrojaner auch gegen Alltagskriminalität einzusetzen.
  
„Die dramatisch weitreichenden Überwachungsmaßnahmen, die quasi die Möglichkeit beinhalten ‚Gedanken auszulesen‘ stellen gerade diejenigen ins Visier der Ermittler, die in Ausübung verfassungsrechtlich geschützter Selbstschutzmöglichkeiten verschlüsselt kommunizieren. Die Verfassungswidrigkeit der Vorschriften, die in einem überstürzten und unreflektierten Gesetzgebungsverfahren ‚durch die Hintertür‘ in die Strafprozessordnung eingeführt wurden, ist evident. Es wurden grundlegende Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts missachtet.“ Prof. Dr. Frank Braun, Prozessbevollmächtigter, Quelle
  
„Der Überwachungsstaat hat sich die technische Möglichkeit erlaubt, in gefährlicher Nähe zum Kernbereich meiner beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt und Strafverteidiger heimlich Spionagesoftware zu installieren: Damit wird der mir als Berufsgeheimnisträger von Verfassungs wegen zustehende besondere Vertrauensschutz desavouiert und mein Anspruch auf IT-Sicherheit unterminiert.“ Prof. Dr. jur. habil. Helmut Pollähne, Strafverteidiger, Quelle
  
„Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die Online-Durchsuchung überschreiten die äußerste Grenze (rechts)staatlicher Ausforschung der Intimsphäre zum Zweck der Strafverfolgung bei weitem. Sie gestatten nicht nur die offene Verwertung höchstvertraulicher Informationen wie sie z.B. in einem Tagebuch stehen. Sie erlauben die dauerhafte heimliche Überwachung des Verfassens der Tagebucheinträge und dessen, was der Betroffene nicht einmal seinem Tagebuch anvertrauen würde. Sie ermöglichen es, die digitalisierten Gedanken eines Menschens zu lesen.“ Prof. Dr. Jan Dirk Roggenkamp, Prozessbevollmächtigter, Quelle
 

Weitere Informationen:

spiegel.de, 18.02.2020: Verfassungsschutz soll Chatnachrichten überwachen können
 
heise.de, 25.01.2020: Bundespolizeigesetz: Seehofer opfert Gesichtserkennung für Staatstrojaner       
 
Digitalcourage: Staatstrojaner: Chronologie des staatlichen Hackings
 
Digitalcourage, 17.10.2019: Nach Halle: Vorratsdatenspeicherung verbieten und Verfassungschutz abwickeln
 
Digitalcourage, 17.10.2019: Hallo CDU: Vorratsdatenspeicherung und Verfassungsschutz sind nicht die Lösung
 
netzpolitik.org, 15.07.2019: Der enthemmte Maaßen zeigt, wie gefährlich der Verfassungsschutz ist
 
zeit.de, 11.3.2019: Uniter e.V. : Verfassungsschutz-Mitarbeiter gründete umstrittenen Verein     
 
Digitalcourage, 20.11.2018: Von wegen Terrorprävention – Wie Staatstrojaner missbraucht werden
 
Digitalcourage, 13.08.2018: 11. NSU-Mord in Rheda-Wiedenbrück?
 
Digitalcourage, 06.08.2018: Verfassungsbeschwerde gegen Staatstrojaner eingereicht 
 
Digitalcourage, 14.03.2018: 38 Jahre rechtswidrig vom Verfassungsschutz überwacht
 
Digitalcourage, 28.06.2017: Staatstrojaner: Überwachungskanone gegen die Bevölkerung – 
Sechs Texte, die erläutern, warum Staatstrojaner eine riesige Gefahr für uns alle sind.
 
Digitalcourage, 07.11.2014: Verfassungsschutz in Rente geschickt
 

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Am 7. August 2018, haben wir unsere Verfassungsbeschwerde gegen Staatstrojaner gegen Alltagskriminalität in Karlsruhe eingereicht.

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