Feierstimmung: Kein Microsoft 365 in BaWüs Bildungsplattform
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Vergangenes Jahr wurde Susanne Eisenmann, die Ministerin für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg (CDU), mit einem unserer BigBrotherAwards ausgezeichnet. Ausschlaggebend waren ihre Bestrebungen, wesentliche Dienste der digitalen Bildungsplattform des Landes von Microsoft betreiben zu lassen. Zeitgleich zu der Verleihung der Oscars für Datenkraken, bildete sich ein Bündnis gegen das Vorhaben. Die Kampfansage: Wir wollen die Daten von Kindern nicht Microsoft in den Rachen werfen!
Nun können wir mit Freuden einen Erfolg vermelden: Der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI) schätzt Microsoft 365 als nicht zulässig ein!
Wieder einmal hat sich gezeigt: unsere Arbeit zahlt sich aus! Der verliehene BigBrotherAward in der Kategorie Digitalisierung (2020) sorgte nicht nur für eine erhöhte Aufmerksamkeit der Thematik durch die Presse, sondern Teile aus der BBA-Laudatio fanden auch ihren Weg in den Bildungsausschuss des Landtags. Für die Verleihung des Negativpreises und das Stürzen des Vorhabens mit MS 365 gibt es nämlich eine Menge guter Gründe, die im Landtag gut vorgetragen werden konnten.
Wenn aus einzelnen viele werden …
Angesichts der vielen gegenwärtigen Herausforderungen kann sich mitunter ein Ohnmachtsgefühl einstellen: Was kann ich als Einzelperson schon bewegen? Es sind gerade gemeinsam errungene Erfolge wie diese, die uns alle immer wieder aufs neue bestärken! Auch daher ist es so wichtig, diese Erfolge gemeinsam zu feiern.
Einen großen Wirkungsfaktor für das Gelingen der Aktion stellt die wunderbare Zusammenarbeit mit dem Bündnis „Unsere digitale Schule“ dar. Viele Bürgerinnen und Bürger aus der Zivilgesellschaft und Organisationen haben sich vernetzt.
Wir möchten uns an dieser Stelle herzlich bei allen Networking-Partner.innen bedanken! Auch bei den Unterstützer.innen außerhalb des Bündnisses, die zum Erfolg beigetragen haben.
Der Kampf für Bürgerrechte, Datenschutz und eine bessere Gesellschaft ist ein mühsames Unterfangen. Es gilt Ressourcen zu bündeln, verschiedene Blickwinkel zu addieren und clever zu handeln!
In diesem Sinne auch noch einmal vielen Dank an alle, die Digitalcourage unterstützen.
Unsere digitale Schule
Bündnispartner: Arbeitsgemeinschaften Gymnasialer Elternbeiräte der Regierungsbezirke Karlsruhe, Stuttgart und Tübingen | Bündnis für humane Bildung | Chaos Computer Club Stuttgart e.V. | Deutsche Vereinigung für politische Bildung e.V. Landesverband BW | Digitalcourage e.V | Digital souveräne Schule e.V. | Fachgruppe Informatiklehrerinnen und -lehrer in Baden-Württemberg der Gesellschaft für Informatik e.V. | Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V. | Gesellschaft für digitale Ethik e.V. | Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg | Landesschülerbeirat Baden-Württemberg | Medienkompetenz Team e.V. | No-Spy e.V.| Open-Source LMS | Philologenverband Baden-Württemberg PhV BW e.V. | Realschullehrerverband Baden-Württemberg | Teckids e.V. | Verband zur Förderung des MINT-Unterrichts Baden-Württemberg | Verbraucherzentrale Baden-Württemberg e.V. (Stand: 23.04.2020)
Wie kam es dazu?
September 2020: BigBrotherAward und die Bündelung von Kräften
Uns erreichten Informationen über die Pläne des baden-württembergischen Kultusministeriums, Microsoft als Teil der Digitalen Bildungsplattform einzusetzen. In beratender Funktion mit in den Entscheidungsprozess eingebunden war der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink. Wir reagierten mit einem BigBrotherAward und forderten, das geplante Pilotprojekt nicht durchzuführen.
Zeitgleich wurde der Aufschrei von Betroffenen im Ländle immer größer. So formierte sich ein starkes Bündnis mit zahlreichen Vertretern aus dem Bildungsbereich, Datenschützern und allen Betroffenengruppen unter dem Namen „Unsere digitale Schule“ (siehe oben).
Oktober 2020: Grünes Licht für das Pilotprojekt vom LfDI
Nach Verhandlungen mit Microsoft gab der Landesdatenschutzbeauftragte grünes Licht für ein Pilotprojekt – mit der ausdrücklichen Ansage, dass dieses nach Abschluss nochmals ausgewertet werden müsse, um den Schutz von Schüler.innendaten bewerten zu können. So wurde das Projekt durchgeführt und das Software-Paket einigen Berufsschullehrkräften in Baden-Württemberg zum Testen zur Verfügung gestellt.
November 2020: Gespräch mit dem LfDI Stefan Brink
Im November 2020 erklärte das Bündnis in einem Gespräch den Landesdatenschutzbeauftragten die Bedenken, die bezüglich des Datenschutzes und der digitalen Souveränität bestehen. Es wurde seitens des Bündnisses deutlich formuliert, dass Verbraucher- und Medienbildung an der Erziehung zum mündigen Bürger orientiert sein sollte und die Verwendung von Microsoft 365 dem entgegenstünde. Brink betonte, dass bei dem Pilotprojekt keine Schülerinnen- oder Schülerdaten verarbeitet würden, da ansonsten eine Einwilligung nötig wäre. Er versicherte, das Projekt und damit einhergehende Datenflüsse ordentlich zu prüfen.
Januar 2021: Stellungnahme des Bündnisses „Unsere digitale Schule“
Das Bündnis „Unsere digitale Schule“ sprach sich im Januar 2021 in einer Stellungsnahme gegen die Inbetriebnahme von Microsoft 365 und für die Nutzung von Open-Source-Software aus. Drei Arbeitsgemeinschaften Gymnasialer Elternvertreter (ARGE) luden zu einer Landespressekonferenz in Stuttgart ein. In der Pressekonferenz vertreten waren der Landesschülerbeirat Baden-Württemberg (Lennard Indlekofer), der Vorstand des Landeselternbeirats (Michael Mittelstaedt) und der Chaos Computer Club Stuttgart (Stefan Leibfarth) (Bild: v.l.n.r.).
Februar 2021: Zweites Gespräch mit dem LfDI
Im Februar 2021 haben sich Vertreterinnen und Vertreter des Bündnisses ein weiteres Mal mit Stefan Brink ausgetauscht. Brink betonte dabei vor allem die Rolle der Schule, welche die Verantwortung für die Wahl der Software und die Verarbeitung der Daten trage. Diese sei für einzelne Schulen enorm groß und Schulleitungen müssten in diesem Bereich gut sensibilisiert werden, was auch eines seiner Ziele sei. Vor diesem Hintergrund sprach er sich für die priorisierte Nutzung von datensparsamen, quelloffenen Programmen aus. Klare Aussagen zum Prüfungstand des Pilotprojekts machte er jedoch nicht.
März 2021: Kultusministerium ist bereit für MS 365
Im weiteren Verlauf führten die Ergebnisse der baden-württembergischen Landtagswahl dazu, dass die Karten neu gemischt werden: Ministerin Eisenmann erklärte, dass sie zukünftig nicht mehr als Kultusministerin agieren wolle. Die CDU – mit der zur Wahl aufgestellten Susanne Eisenmann als designierte Ministerpräsidentin – hatte schlechte Ergebnisse eingefahren und der bisherige Ministerpräsident Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) hatte das Rennen gemacht.
Auf Nachfragen, wie es nun um die angekündigte Bildungsplattform mit Microsoft 365 stünde, äußerte sich Ralf Armbruster, Leiter der Stabstelle Digitale Bildungsplattformen, bei Twitter. Er erklärte, dass nur noch auf einen Abschlussbericht des LfDI gewartet würde und der Rollout der Software bereits in den Startlöchern stehe, um an weiteren Schulen in Baden-Württemberg eingesetzt werden zu können. Eine Entscheidung, wie es mit dem Einsatz von Microsoft 365 weitergehen wird, würde aber unter Eisenmann nicht mehr getroffen.
April 2021: Weitere Forderungen des Bündisses und Entscheidung des LfDI
1. Weiteres Forderungspapier des Bündnisses:
„Jetzt aber richtig!“ dachten sich die Mitglieder des Bündnisses „Unsere digitale Schule“, und so wurde am 23.04.2021 ein Forderungspapier nachgelegt, das die Dringlichkeit der Nutzung von Open-Source-Software thematisiert und Lösungsvorschläge gleich mitliefert.
Zuvor war der Koalitionsvertrag der CDU und Bündnis 90/Die Grünen erschienen, der eine digitale Plattform sowie verbesserte Unterrichtsqualität verspricht – an dieses Vorhaben wollten die Unterzeichnenden noch einmal mit Nachdruck erinnern.
Das Kultusministerium reagierte schnell auf das Forderungspapier des Bündnisses: Es wurde erneut auf die andauernde Prüfung des LfDI hingewiesen und erklärt, dass parallel nach Alternativen gesucht würde. So wäre beispielsweise bereits die Open-Source-Software „Phoenix Suite“ in Betracht gezogen worden, die aber funktional eingeschränkt und teuer wäre (18,5 Millionen).
Weiter heißt es in der Stellungnahme des Kultusministeriums:
„Eine abschließende Entscheidung zum weiteren Vorgehen muss jedoch die neue Landesregierung treffen – weil alle Fachressorts gehalten sind, bis zum Regierungswechsel keine grundlegenden und weitreichenden Entscheidungen mehr zu treffen. Zumal diese ja auch einen entsprechenden Finanzbedarf auslösen würde.“
2. LfDI rät von dem schulischen Einsatz von Microsoft 365 ab:
Noch am selben Tag sorgte ein Presseartikel der Badischen Neuesten Nachrichten für Aufsehen: In den kommenden Tagen würde ein offizieller Brief des Landesdatenschutzbeauftragten Stefan Brink das Kultusministerium erreichen, in dem er von der Nutzung von Microsoft 365 abraten würde. Die Würfel sind gefallen.
Das löste Diskussionen aus: Ralf Armbruster unterstellte Brink bei Twitter, eine eigene politische Agenda zu verfolgen. Außerdem würde Brink in Kauf nehmen, dass kein richtiger Unterricht gemacht werden könnte.
Wir meinen:
Der Landesdatenschutzbeauftragte hat seinen Job ordentlich gemacht.
Der Prozess hat in der Tat lange gedauert. So ist das, wenn versucht wird, eine Datenkrake datenschutzfreundlich einzusetzen. Wenn das Kultusministerium nicht so verbissen an dem Ansatz festgehalten hätte, könnte die Digitale Bildungsplattform längst an einer anderen Stelle stehen oder gar als Vorbild für andere Bundesländer dienen. Damit digitaler Unterricht grundrechtewahrend funktioniert, muss nicht die Welt neu erfunden werden, lediglich ein kleines ABC an Regeln beachtet werden, das wir auch in unserem Bildungspaket niedergeschrieben haben.
In der Zwischenzeit hat sich auch Microsoft zu der Entscheidung geäußert: Datenschutz habe höchste Priorität. Ah ja. Bereits bei den BigBrotherAwards im Jahr 2002 konnte sich Microsoft über einen Award für ihr Lebenswerk „freuen“ und 2018 gab es den Negativpreis erneut für das Betriebssystem Windows 10. Details zu diesem Thema finden Sie auf unserer Seite über die BigBrotherAwards.
Mai 2021: Sorge um freie Softwarelösungen
Ein Dämpfer war die Meldung, dass BelWü – der Dienstleister, der die Infrastruktur für Open-Source-Softwares wie Moodle und Nextcloud in Baden-Württemberg zur Verfügung stellt – diese bald nicht mehr hosten wird. Wir berichteten am 3. Mai darüber. Denn genau diese gehören zu den derzeit besten Anwendungen anstelle der Microsoft-Lösung. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer erklärt nun, dass BelWü sich aus rechtlichen Gründen auf seinen Kernbereich, nämlich Hochschulen, konzentrieren müsse. Es seien jedoch unerlässliche Dienste für den Fernunterricht wie E-Mail und das zentrale Lernmanagment-System Moodle bis 2024 bei BelWü sichergestellt. Das Kultusministerium erklärt zudem, dass Moodle danach als Teil der Bildungsplattform fortgeführt werden solle. Schulen, die ihre Websites bei BelWü hosten oder den Webspace des Unternehmens für eigene Moodle-Instanzen nutzen (eigens eingekaufter Server- und Speicherplatz), müssen sich zügig nach Alternativen umschauen. Dabei kündigt BelWü tatkräftige Unterstützung an.
Wir sind gespannt …
… ob Schulen die nötige Hilfe bekommen, um z.B. ihre Moodle-Instanzen umzuziehen.
… ob der Wechsel von BelWü zu anderen Dienstleistern reibungslos verlaufen wird.
… für welche Software sich das Kultusministerium entscheiden wird.
… ob zukünftig ein zentrales Moodle über die Bildungsplattform angeboten wird.
… wie das Kultusministerium unter der Führung der Grünen handeln wird.
Erste Versprechen zur Bildungspolitik gibt es bereits (Koalitionsvertrag, S. 61). Bleiben wir also – trotz unserer augenblicklichen Feierstimmung – aufmerksam und schauen genau hin, ob der Koalitionsvertrag den Toner wert ist, mit dem er ausgedruckt wurde:
„Personenbezogener Datenschutz und Datensicherheit werden im Schulbereich auch bei der Digitalisierung konsequent beachtet. Wir wollen den Schulen über eine sogenannte Positivliste („whitelist“) datenschutzkonforme Materialien und Datenschutzlösungen zur Verfügung stellen. Wir werden die notwendigen datenschutzrechtlichen Voraussetzungen schaffen, um Rechtssicherheit bei der digitalen Übertragung aus dem Unterricht herzustellen. Eine gute digitale Infrastruktur ist dabei die Grundvoraussetzung. Im Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung für die digitale Bildung der Schülerinnen und Schüler streben wir gemeinsam mit den Schulträgern im Rahmen des Dialogprozesses Schulträgerschaft im 21. Jahrhundert eine tragfähige Lastenverteilung an, die den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gerecht wird. Neben der Ausstattung der Lehrenden und Lernenden mit digitalen Endgeräten soll in diesem Zusammenhang auch ab spätestens 2023 das Thema „Support und Wartung“ rechtlich und finanziell zwischen Land und Schulträgern neu geregelt werden.“