Polizeigesetz NRW: Eine Entschärfung findet nicht statt.

FDP und CDU klopfen sich fleißig auf die Schulter: Sie hätten das umstrittene Polizeigesetz entschärft. Wir haben Gesetzentwurf und Änderungsantrag unter die Lupe genommen und stellen fest: Eine Entschärfung findet nicht statt. Hier nachlesen, welche Maßnahmen im Einzelnen geplant sind.
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Eine Person von hinten, deren Hände auf dem Rücken mit Handschellen fixiert sind.

FDP und CDU in NRW klopfen sich derzeit fleißig auf die Schulter: Sie behaupten, sie hätten das umstrittene neue Polizeigesetz mit einem Änderungsantrag entschärft (Beides findet sich im Dokumentenpool des Landtags). Man habe einen guten Kompromiss zwischen Sicherheit und Bürgerrechten gefunden. Wir haben uns den Entwurf und den Änderungsantrag angesehen und stellen fest: Von Entschärfungen ist nicht viel zu finden. Hier erklären wir die geplanten Verschärfungen im Einzelnen und warum die Regierungsfraktionen in NRW damit unsere Sicherheit gefährden.

[Update vom 30.01.2019] Am 12. Dezember 2018 hat der Landtag NRW, mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, FDP und SPD, verabschiedet. Am 8. Dezember hatte die SPD noch einen Änderungsantrag eingebracht. Dieser ändert wenig am Kern des Gesetzes. Einzig der Hinweis, dass Menschen, die in Gewahrsam genommen werden, Anspruch auf anwaltlichen Beistand haben, wurde hinzugefügt. Alle unten genannten Verschärfungen des Polizeirechts sind in NRW seit dem 20. Dezember 2018 in Kraft.

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Eine Entschärfung findet nicht statt.
Ob Vereine, Professor.innen, Verbände – in nahezu allen Stellungnahmen zur geplanten Verschärfung des nordrheinwestfälischen Polizeigesetzes wurde vor der Einführung des Begriffs der „drohenden Gefahr“ und „drohenden terroristischen Gefahr“ gewarnt. Die „drohende Gefahr“ soll abgeschafft und die „drohende terroristische Gefahr“ durch einen Straftatenkatalog ersetzt werden, auf den in den einzelnen Artikeln Bezug genommen wird. Dennoch: Die Polizeiarbeit weit im Vorfeld einer Gefahr oder Straftat bleibt erhalten. Bestimmte Formulierungen sollen – auch mit dem Änderungsantrag – der Polizei die Möglichkeit geben, Staatstrojaner, Aufenthalts- und Kontaktverbote und elektronische Fußfesseln gegen Menschen einzusetzen, von denen keine konkrete Gefahr ausgeht. Schleierfahndung und erweiterte Videoüberwachung sollen laut Änderungsantrag schon bei Verstößen gegen das Betäubungsmittel- und das Aufenthaltsgesetz angewendet werden. Was das mit Terrorismus zu tun hat? Fragen wir uns auch.

Wir gehen im Folgenden ausführlich auf die geplanten Neuerungen ein: Lesezeit ca. 10 Minuten.

Kerstin Demuth

Foto: Kerstin Demuth, Digitalcourage-CampaignerinDigitalcourage

Kerstin war Campaignerin und Redakteurin bei Digitalcourage.

Die Verschärfungen im Einzelnen

So soll das Polizeigesetz NRW laut Entwurf und Änderungsantrag in Zukunft aussehen. Zum Ausklappen auf die gelben Dreiecke klicken.

Schleierfahndung …

Die sogenannte strategische Fahndung soll es der Landespolizei in Zukunft erlauben, an Orten im „öffentlichen Verkehrsraum“ – also überall –, die sie selbst als „Brennpunkt“ definiert hat, zufällig Menschen zu kontrollieren.   
Hier sollen schon Straftaten aus dem bestehenden § 8 (3) als Anlass ausreichen, darunter Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz und Drogenkriminalität. Das ist ein Freibrief für Racial Profiling.

Mehr Videoüberwachung …

Der Entwurf sieht vor, die Videoüberwachung massiv auszuweiten. Dabei legen wissenschaftliche Studien nahe: Gegen Gewalt und Terror helfen Kameras nicht. Bei anderen Delikten, wie Drogenhandel, Diebstahl und Sachbeschädigung, zeigt sich eine Verlagerung: Die Täter.innen meiden Kameras und gehen einfach dort hin, wo keine sind. Der Nutzen ist also gering, der Eingriff in die Grundrechte aller ist riesig: Wenn weiterhin überall Überwachungskameras aufgestellt werden, ist es bald unmöglich, sich unbeobachtet durch den öffentlichen Raum zu bewegen. Und das betrifft nicht nur Kriminelle sondern uns alle.

Staatstrojaner …

Staatstrojaner sind staatliche Spähsoftware. Sie ermöglichen das Auslesen von Nachrichten im infizierten Gerät (Quellen-Telekommunikations-Überwachung, kurz: Q-TKÜ). Dieser Lauschangriff soll, nach dem Willen den Landesregierung, gegen die Bevölkerung für die Landespolizei erlaubt werden. In dem Artikel des Entwurfs ist eine Formulierung enthalten, die einen Einsatz weit vor einer konkreten Gefahr erlaubt.

Der Nutzen von Staatstrojanern ist sehr begrenzt – das Risiko jedoch ist enorm, denn die Spähsoftware wird oft durch Sicherheitslücken installiert. Durch solche Schwachstellen sind Angriffe auf kritische Infrastrukturen möglich. Die Erpressungs-Software #WannaCry hat unter anderem den Bahnverkehr und Krankenhäuser lahmgelegt. Ein Staat, der Sicherheit für seine Bürger.innen will, sollte Sicherheitslücken den Herstellern melden, damit sie geschlossen werden. Stattdessen will die Bundesregierung sie offen halten, um sie selber auszunutzen.

Mehr Infos zum Thema Staatstrojaner und unserer Verfassungsbeschwerde gibt es hier: https://digitalcourage.de/staatstrojaner

Aufenthalts- und Kontaktverbote …

Außer der Überarbeitung von juristisch unsauberen Formulierungen hat sich hier im Änderungsantrag nicht viel getan. Die Verschärfungen sind alarmierend: Die Polizei dürfte mit diesen zusätzlichen Befugnissen Menschen, die nichts verbrochen haben, vorschreiben, dass sie bestimmte Orte nicht betreten oder verlassen dürfen und mit wem sie Kontakt haben – und der Entwurf legt keine Höchstdauer für diese Verbote fest. Besonders die Kontaktverbote sind perfekt geeignet, um Aktivismus zu kriminalisieren: Man muss nur mutmaßen oder – dank Überwachung – wissen, welche Personen einzelne Gruppen und Organisationen miteinander vernetzen und ihnen dann verbieten, miteinander zu sprechen. Das wäre ein herber Schlag für die freie Meinungsäußerung. Unserer Ansicht nach sind Kontaktverbote nur in einem der genannten Fälle sinnvoll: Um zu verhindern, dass ein übergriffiger, gewalttätiger Partner oder ein Stalker weiter seinem Opfer nachstellen kann.

Elektronische Fußfessel …

Die elektronische Fußfessel soll jeder Person angelegt werden können, die eine Aufenthaltsvorgabe (siehe oben) auferlegt bekommt. Damit weiß die Polizei rund um die Uhr, wo du dich gerade befindest. Ein paar andere Straftaten sind im Entwurf auch noch aufgezählt, die den Einsatz dieser Standortüberwachung erlauben sollen. Klar ist: Wer weiß wo du bist, kennt dein ganzes Leben. Die Polizei weiß, wo du nachts schläfst, wo du dein Essen kaufst, mit wem du befreundet bist und wo du arbeitest.

Präventivhaft …

Es soll in Zukunft viel leichter möglich sein, Menschen in Gewahrsam zu nehmen. Im ursprünglichen Entwurf sollte, zur Unterbindung einer „drohenden Gefahr“, Menschen bis zu 28 Tage eingesperrt werden können. Das wurde mit dem Änderungsantrag auf 14 Tage verkürzt – mit einmaliger Verlängerung um weitere 14 Tage. Diese Änderung führt die FDP gerade an, um zu illustrieren, wie sie mit der CDU das Gesetz entschärft hat.
Außerdem soll es möglich sein, Menschen für 14 Tage ins Gefängnis zu stecken, nur weil sie sich nicht ausweisen können. Dann nämlich, wenn die Polizei unterstellt, eine Person wolle ihre Identität verschleiern. Auch bei Verstößen gegen Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverbote droht ein Gefängnisaufenthalt.

Taser …

Die Elektroschocker sollen in der Theorie eine mildere Alternative zur Schusswaffe darstellen. Doch er ist und bleibt: eine Waffe. Ausführliche Kritik gibt es bei Amnesty.

… ohne konkreten Tatverdacht.

Staatstrojaner, Aufenthalts- und Kontaktverbote und elektronische Fußfesseln sollen nach dem Änderungsantrag bereits erlaubt sein, ohne, dass du irgendetwas verbrochen hast oder etwas falsches tun willst – nämlich dann, wenn „1. bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person innerhalb eines übersehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine terroristische Straftat nach § 8 Absatz 4 begehen wird oder 2. das individuelle Verhalten der betroffenen Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat nach § 8 Absatz 4 begehen wird.“ Die Liste der Straftaten findet ihr am Ende dieses Artikels. Klingt unkonkret? Ist es auch. Wie die Polizei die Zukunft voraussagen soll, ist uns schleierhaft. Damit wird Rechtsunsicherheit geschaffen: Niemand weiß mehr, was er oder sie tun darf, wenn sie sich rechtskonform verhalten und keine Konflikte mit der Polizei riskieren will. Das führt dann dazu, dass man sich übervorsichtig verhält: ein klassischer Chilling Effect.

… gegen Kriminalität die herzlich wenig mit Terrorismus zu tun hat.

Immerhin, der Straftatenkatalog, den in Zukunft Artikel 4 des PolGNRW enthalten soll, enthält ein paar wirklich schwere Verbrechen: Völkermord, Anschläge auf Gebäude, Tötungsdelikte. Aber auch Anlassstraftaten wie „Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr“ oder „Computersabotage“ sind dort aufgeführt. Und diese lassen sich womöglich zurechtbiegen, um Protest zu kriminalisieren – ob Umweltaktivist.innen, die sich an Bahngleise ketten, oder Techies, die Menschen beibringen, wie sie Ihr Smartphone entgooglen und den Laptop von Windows befreien.

… obwohl die Kriminalität in NRW rückläufig ist.

Das Innenministerium NRW gab 2018 bekannt, dass die Kriminalität in 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 6,5 Prozent gesunken sei. Darunter Diebstähle und Gewaltverbrechen. Im selben Atemzug gibt Innenminister Reul bekannt, dass er weiter „konsequent gegen jede Form von Kriminalität vor[geht] – auch gegen vermeintliche Bagatellkriminalität“.

Fazit: Law & Order will destroy law and order.

Diese Ankündigung ist gruselig. Die NRW-Regierung wird mit ihrem harten Kurs der Angstpolitik Grundrechte aushöhlen, die aus gutem Grund geschaffen wurden. Im Grundgesetz wurden wir nicht etwa deshalb mit so weitreichenden Freiheiten ausgestattet, weil man sich dachte: „Uns geht es gerade so gut, wir können uns jetzt lasche Gesetze erlauben“. Im Gegenteil: Die deutsche Geschichte hat gezeigt, wie wichtig Abwehrrechte gegen den Staat sind. Man wollte um jeden Preis verhindern, dass sich die Grausamkeiten des dritten Reichs wiederholen. CDU und FDP werden mit ihrem Hardlinerkurs dem Staat Waffen in die Hand geben, die spätestens dann gefährlich werden, falls wir in einigen Jahren oder Jahrzehnten die erste Regierung mit AfD-Beteiligung ertragen müssen. Migranten, „Linke“, Journalistinnen, Anwältinnen und Grundrechts-Aktivistinnen werden als erste leiden – dann alle.
Demokratie ist keine Tatsache die, einmal geschaffen, für immer bestehen bleibt. Demokratie ist ein Prozess an dem wir ständig arbeiten müssen. Und wir werden sie nicht verteidigen indem wir sie abschaffen.

Strafgesetzbuch (StGB)

§89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
§89b Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
§89c Terrorismusfinanzierung
§129a Bildung terroristischer Vereinigungen
§129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung
§211 Mord
§212 Totschlag
§224 Gefährliche Körperverletzung
§226 Schwere Körperverletzung
§227 Körperverletzung mit Todesfolge
§239a Erpresserischer Menschenraub
§239b Geiselnahme
§303b Computersabotage
§305 Zerstörung von Bauwerken
§305a Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel
§306 Brandstiftung (a) schwer, b) besonders schwer, c) mit Todesfolge)
§307 Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie
§308 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion
§309 Mißbrauch ionisierender Strahlen
§310 Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens
§313 Herbeiführen einer Überschwemmung
§314 Gemeingefährliche Vergiftung
§315 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr
§316b Störung öffentlicher Betriebe
§316c Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr
§317 Störung von Telekommunikationsanlagen
§328 Unerlaubter Umgang mit radioaktiven Stoffen und anderen gefährlichen Stoffen und Gütern
§330 Besonders schwerer Fall einer Umweltstraftat
§330a Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften
 

Völkerstrafgesetzbuch

§6 Völkermord
§7 Verbrechen gegen die Menschlichkeit
§8-12 Kriegsverbrechen

Kriegswaffenkontrollgesetz

§19 Strafvorschriften gegen Atomwaffen
§20 Strafvorschriften gegen biologische und chemische Waffen
§20a Strafvorschriften gegen Antipersonenminen und Streumunition
§21 Taten außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes
§22a Sonstige Strafvorschriften

Weitere Informationen

Der Gesetzentwurf, Stellungnahmen und Änderungsantrag von Mai 2018 im Portal des Landtags:
https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Webmaster/GB_II/II.2/Suche/Landtagsdokumentation_ALWP/Suchergebnisse_Ladok.jsp?view=berver&mn=16681193c18&wp=17&w=native%28%27id%3D%27%271701967%2F0100%27%27+%27%29

Die Pressemitteilung der FDP-Fraktion zum Änderungsantrag:
https://fdp.fraktion.nrw/content/rasche-und-lurbke-polizei-und-burgerrechte-starken

Appell im Volltext: „SPD, FDP und Grüne – Hört auf Eure Bürgerrechtsflügel“:
https://digitalcourage.de/blog/2018/appell-gruen-spd-fdp-hoeren-sie-auf-ihre-buergerrechtsfluegel

Die Polizeiliche Kriminalstatistik NRW für 2017:
https://polizei.nrw/artikel/polizeiliche-kriminalstatistik-2017-1

 

[Update, 18.10.2018: Präzisiert: Drohende Gefahr soll abgeschafft werden, drohende terroristische Gefahr durch einen Straftatenkatalog ersetzt.]

[Update, 10.11.2018: Korrektur im Unterpunkt Staatstrojaner: Der Entwurf enthält keine Online-Durchsuchung]

[Update, 28.02.2019: Unterpunkt "Taser" eingefügt.]