„Schutzranzen“: Wir warnen vor der neuen Version!

Seit Januar 2018 warnen wir vor dem „Schutzranzen“-Projekt, weil es Sicherheit im Straßenverkehr verspricht, aber lediglich Grundschulkinder mit GPS-Sensoren trackt. Kindertracking ist ein Problem – daran ändert auch die neue Version der Apps nichts.

„Schutzranzen“: Mit allen Mitteln gegen unsere Kritik

Seit April 2018 gibt es eine neue Version von „Schutzranzen“ für Android und iOS – das Kernproblem aber bleibt. Wir warnen weiterhin vor dem „Schutzranzen“-Projekt und fordern, dass nach Wolfsburg auch die Stadt Ludwigsburg die Kinder-Tracking-Tests abbricht.

Hier die aktuellen Entwicklungen und Argumente gegen das Tracking von Kindern mit „Schutzranzen“.

Als Reaktion auf unsere Kritik hat Coodriver, das Kleinunternehmen hinter „Schutzranzen“, die Apps überarbeitet und versucht uns anwaltlich Teile unserer Kritik zu untersagen. In Pressemitteilungen und Statements versucht Coodriver derzeit mit steilen Thesen, den Ruf seines Tracking-Konzepts zu retten. Auf der Presseunterseite von „Schutzranzen“ heißt es beispielsweise an vielen Stellen, die Apps seien „anonym und werbefrei“ und sammelten keinerlei personenbezogene Daten.

 

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Hat Coodriver das eigene Produkt nicht verstanden?

Werbefrei? Das mag sein. Wie eine App, die auf einem Smartphone installiert wird, oder ein GPS-Tracker mit Telefonfunktion anonym sein soll, erklärt sich uns indes nicht. Schließlich sind auch Telefonnummern, IP-Adressen und Geräte-IDs personenbezogene Daten. Tatsache ist: Das ganze Konzept basiert weiterhin auf GPS-Tracking. Einzig die Ortungsfunktion für Eltern hat Coodriver in den neuen Apps entfernt.

Das Schutzranzen-Konzept geht in die falsche Richtung

Überwachungsbasierte Ansätze sind pädagogisch, technisch, gesellschaftlich und politisch definitiv der falsche Weg zum vernetzten Verkehr. Der Ulmer Experte für vernetztes Fahren, Klaus Dietmayer, hält Ansätze, wie sie „Schutzranzen“ verfolgt, „nicht für zielführend“ und zweifelt, genau wie wir, auch am praktischen Nutzen solcher Technologien:

„Es hört sich zunächst großartig an, doch was passiert, wenn man sich darauf verlässt, der Transponder oder das Handy aber zufällig nicht dabei ist, gerade ausgeschaltet ist oder Sie für einen Moment keine Funkverbindung haben? Und was ist mit den Kindern, die das nicht haben?“

(Quelle: https://www.vdi-nachrichten.com/Schwerpunkt-Meinung/Auf-Roboter-Ruecksicht-nehmen)

Neue Sicherheitslücke bei Datenschutzbehörde gemeldet

Wir haben am 16. Mai 2018 eine neue Sicherheitslücke zur Prüfung bei der zuständigen Datenschutzbehörde gemeldet. Unter bestimmten Umständen übertragen beide Android-Apps die Position der Geräte im Klartext übers Internet. Das ist bereits das zweite sicherheitsrelevante Problem der „Schutzranzen“-Apps. Bericht zur ersten Sicherheitslücke.

 

„Schutzranzen“ will große Teile der Berichterstattung von Digitalcourage anwaltlich unterbinden

„Schutzranzen“ versucht anwaltlich, Digitalcourage große Teile der Kritik an älteren Versionen der Apps zu untersagen. Bis zum 18. April 2018 sollte Digitalcourage eine Unterlassungserklärung unterschreiben. „Schutzranzen“ stört sich unter anderem daran, dass Digitalcourage die Coodriver GmbH als „Schrottup“ bezeichnet hat.
https://digitalcourage.de/blog/2018/schutzranzen-abmahnversuch-helft-uns-beim-verteidigen

Scheinsicherheit statt Verkehrssicherheit

Für die neue Version der „Schutzranzen“-Apps (Version 1.2.2.) hat die Coodriver GmbH eine der Hauptfunktionen des Projekts, die direkte Eltern-Kind-Überwachung, entfernt. Eine der verbleibenden Funktionen der „Schutzranzen“-Apps ist die Warnung von Autofahrerinnen und Autofahrern vor Kindern mit dem „Schutzranzen“-GPS-Gerät oder der „Schutzranzen“-Kinder-App, die sich im selben „Sektor“ aufhalten. Die Coodriver GmbH spricht von besserer „Sichtbarkeit im Straßenverkehr“. Aber auch nach Abschaltung des Eltern-Kind-Trackings trifft unsere Kritik zu. „Schutzranzen“ bietet lediglich Scheinsicherheit. Denn in der Praxis ist das System untauglich. „Schutzranzen“ ist darum auch keine Lösung für die Gefahren für Kinder, die sich hinter parkenden Autos aufhalten.

Sechs Gründe, warum „Schutzranzen“ nicht praxistauglich ist.

Smartphones sind Unfallursache Nummer 1

Die Nutzung von Smartphones im Auto ist Unfallursache Nummer eins in Deutschland. „Schutzranzen“ ist ein weiterer Anreiz für Autofahrer.innen, das Telefon im Fahrzeug zu nutzen. Ablenkung entsteht durch akustische Signale, eingehende Nachrichten oder andere Apps. Jeder Anreiz, Smartphones in Fahrzeugen zu nutzen, ist eine potenzielle Gefährdung im Straßenverkehr.

Mögliche Gefahren für Kinder

Die Coodriver GmbH geht einseitig von positiven Effekten von „Schutzranzen“ für die Sicherheit von Kindern aus. Aber auch negative Effekte von „Schutzranzen“ für die Kinder sind möglich. Es ist möglich, dass sich Kinder besonders unvorsichtig im Straßenverkehr bewegen, wenn ihnen gesagt wird, dass sie im Rucksack einen Sensor haben, der Fahrzeuge vor ihnen warnt – die Gefahr für Kinder würde steigen. Es ist ebenso möglich, dass Autofahrer.innen unvorsichtiger fahren, wenn keine Warnmeldung auf ihrem Smartphone angezeigt wird – die Gefahr für Kinder würde steigen.

Technische Fehlkonstruktion

Die Sektoren der „Schutzranzen“-Auto-Apps, mit denen die Autofahrer.innen gewarnt werden sollen, sind so groß, dass die Warnungen zu unpräzise sind. Autofahrer.innen können ihr Fahrverhalten in der Praxis daran nicht orientieren. Werden die Sektoren verkleinert, wird das „Schutzranzen“-System zum metergenauen Überwachungsapparat. Dieses Dilemma ist unserer Einschätzung nach die Folge einer technischen Fehlkonstruktion.

Im Innenstadtbereich…

In Städten dürften sich zu Schulzeiten so viele Kinder aufhalten, dass die „Schutzranzen“-Auto-Apps dauerhaft akustisch und visuell warnen. Viele Autofahrer.innen werden sich an die Warnung gewöhnen oder sie abstellen.

Zu viele Bedingungen

Für das Funktionieren der Warnkette beim Projekt „Schutzranzen“ müssen zu viele Bedingungen erfüllt sein: Das Kind muss die Tracking-Sensorik bei sich tragen. Liegt das Handy zu Hause oder der Rucksack an der Haltestelle, ist „Schutzranzen“ funktionslos oder löst falsche Warnungen aus. Das Kind muss zudem einem Fahrzeug begegnen, in dem auf einem Handy oder (perspektivisch) in der Bord-Elektronik die Autofahrer-App installiert ist. Die Warnung müsste schnell genug übertragen und wahrgenommen werden. Anders als „Schutzranzen“ schützt Verkehrserziehung Kinder, auch wenn sie kein GPS-Gerät oder Handy mit Tracking-App bei sich tragen.

Überwachung ist das Grundgerüst

Überwachung ist im „Schutzranzen“-Modell die Voraussetzung für vermeintliche Sicherheit. Das ist der falsche Weg. In der Konsequenz müssten Millionen Verkehrsteilnehmer.innen mit Trackingsensorik als Objekte im Internet der Dinge vernetzt werden. Die technische Entwicklung geht aber in eine andere Richtung. Moderne Fahrzeuge werden nicht nur Personen erkennen können müssen, sondern beispielsweise auch Steine auf der Fahrbahn, uneinsehbare Ecken, Wildschweine oder umgestürzte Bäume. Der Versuch, all diese Objekte mit Trackingsensorik auszustatten, ist untauglich. Das Modell „Schutzranzen“ wird mittelfristig von Fahrzeug- und Verkehrssensorik überholt werden. Investitionen in das Modell sind Aufwände in eine obsolete Verirrung der Technikentwicklung.

Hier ältere Artikel zu „Schutzranzen“ lesen:

Vorsicht: „Schutzranzen“ geht in Werbeoffensive

In einigen Zeitungsartikeln wirbt Coodriver-Chef Hildebrandt mit aus unserer Sicht verdrehenden und ablenkenden Kommentaren für sein Kinder-Tracking-Projekt. Wir können und wollen nicht jede Äußerung kommentieren, aber damit Eltern, Lehrer.innen und Bürgermeister von Ludwigsburg nicht mit der Sicht des Startups allein gelassen werden, verweisen wir auf insgesamt sieben Korrekturen zu einem Artikel der Stuttgarter Zeitung, die unser Mitglied @ChPietsch auf Twitter veröffentlicht hat: https://twitter.com/i/moments/997041452768157696

Die Werbelust der Coodriver GmbH vereinnahmt auch die Datenschutzprüfung von „Schutzranzen“ durch die Datenschutzbeauftragte des Landes Niedersachsen. Denn entgegen der Aussage der Coodriver GmbH in Medienberichten erfolgt diese nicht freiwillig. Im Gegenteil: Nach der von uns ausgelösten Kritik seit Januar 2018 hat die Datenschutzbehörde unseren Informationen nach selbstständig eine Untersuchung eingeleitet, deren Ergebnisse noch nicht vorliegen.

„‚Schutzranzen‘ macht Werbung mit einem amtlichen Prüfverfahren, das eingeleitet wurde, weil Mängel beim Datenschutz festgestellt wurden und Kinder überwacht werden. Diese Darstellung von ‚Schutzranzen‘ ist irreführend für Eltern, Schulen und Öffentlichkeit.“
Friedemann Ebelt, Digitalcourage

Datenschutzprüfung noch nicht abgeschlossen

Nachdem Digitalcourage im Januar 2018 Kritik am „Schutzranzen“-Projekt geäußert hat, übten auch Kinderschutz- und Pädagogikverbände, Abgeordnete, Datenschützer, IT-Sicherheitsexpertinnen und Elternverbände Kritik. Die Datenschutzbeauftragte Niedersachsens überprüft derzeit die Apps auf Datenschutz und Datensicherheit; die Ergebnisse liegen noch nicht vor. Mehrere Partner haben den Informationen nach, die Digitalcourage vorliegen, das Projekt „Schutzranzen“ bereits verlassen, darunter die Marke Scout.

Die Gute Nachricht: Es geht auch ohne Überwachung

Unserer Einschätzung nach überwiegen beim „Schutzranzen“-Projekt die Gefahren gegenüber dem vermuteten Nutzen. Es ist Aufgabe von Unternehmen, Politik und Verbänden, Wege zu finden, den Straßenverkehr der Zukunft überwachungsfrei zu gestalten. Umfelderkennungstechnologien, die ohne Tracking und Datensammlung auskommen, sind zielführender. Eine Pseudolösung, bei der sich jeder Fußgänger und jede Radfahrerin überwachen lässt, braucht der Verkehr der Zukunft einfach nicht.

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