Best Practice

Praxisbericht: Grundrechtewahrende Software in der Schule

Digitaler Unterricht mit Freier Software? Das geht. Eine Schule in Bayern macht's vor. Nachmachen empfohlen!

„Aber Microsoft ist die Empfehlung des Schulträgers.“
„Zoom funktioniert besser."
„Wir würden ja andere Software einsetzen, aber wir wissen nicht wie.“

Das sind Sätze, die uns seit einem Jahr immer wieder aus Schulen erreichen, aber auch aus Hochschulen und Unternehmen.
Diesem falschen Ansatz und den Wissenslücken möchten wir entgegen wirken. Daher freuen wir uns über einen Gastbeitrag von Achim Shaukat, Lehrer an einer bayerischen Schule. Am Beispiel der Aventinus-Mittelschule Abensberg wird deutlich:

Datenschutzfreundlicher Unterricht mit Freier Software geht!

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Gastbeitrag: Fernunterricht? Aber sicher!

Datum:
05.03.2021
Autor:
Achim Shaukat, Informatiklehrer und unterstützender Systembetreuer an der Aventinus-Mittelschule in Abensberg.

März 2020...

„Fernunterricht“ – „Lernen zu Hause“ – all diese Begriffe waren uns, der Aventinus-Mittelschule in Abensberg, noch bis Anfang 2020 fremd. Als staatliche bayerische Mittelschule konnten wir uns eine länger andauernde Schulschließung kaum vorstellen, als die ersten Berichte über das neuartige Coronavirus in den Medien auftauchten. Wieso auch – eine derartige Schließung von Unterrichtsstätten gab es bis dato in dieser Form nicht, abgesehen von der Verlängerung der Sommerferien in verschiedenen Regionen Deutschlands im Jahr 1951, was der damals auftretenden Kinderlähmung geschuldet war. Doch wie wir alle wissen – es kam anders. Als im März 2020 plötzlich die Schulen im Freistaat geschlossen wurden, standen wir, wie so viele andere Bildungseinrichtungen auch, vor der schwierigen Frage, wie wir denn unseren Kindern und Jugendlichen den Lernstoff aus der Ferne vermitteln könnten.

Zugute kam uns dabei, dass wir bereits in den vergangenen Schuljahren großen Wert darauf legten, die EDV-Ausstattung in den Klassenzimmern auf dem aktuellsten Stand zu halten. So wurden bereits vor der Corona-Pandemie sämtliche Klassenzimmer mit interaktiven Whiteboards, PCs und Dokumentenkameras mit integriertem Mikrofon ausgestattet. Ebenso gehören WLAN-Accesspoints und Notebook-Klassensätze auf jedem Stockwerk schon länger zum Standard in unserer Bildungseinrichtung. Selbstverständlich wird die EDV stets auf dem aktuellsten Stand gehalten.

Kompromisse? Nicht bei Daten von Schülerinnen und Schülern

Für den Fernunterricht wurden in dieser Zeit deutschlandweit die vielfältigsten Systeme eingesetzt. Die einfachste und nächstliegende Lösung wäre die Wahl eines „kostenlosen“ Videochat-Programms eines etablierten Anbieters gewesen – fertig! So, wie es viele andere machen. Doch was vielen nicht bekannt ist: Niemand hat etwas zu verschenken. Und gerade die großen Internetkonzerne, die mit ihren „Gratis“-Angeboten locken, wollen bezahlt werden. Mit einer in unserer modernen Welt immer wertvoller werdenden Währung: mit persönlichen Daten.

Nach eingehender Sichtung und (vor allem datenschutzrechtlicher) Überprüfung der gängigen Anbieter von Videokonferenzsoftware kam unser Schulleiter, Rektor Wolfgang Brey, zu dem Ergebnis, dass selbst das vom Kultusministerium bereitgestellte MS-Teams nicht den in der Aventinus-Mittelschule Abensberg seit jeher geltenden höchsten Datenschutzstandards entspricht. Die im Kleingedruckten enthaltenen Bedingungen und vor allem die Gefahr, dass Daten ins Ausland abfließen könnten, wollten wir nicht hinnehmen. Schließlich sind wir als Schule unseren Schülerinnen und Schülern gegenüber in der Pflicht, mit den uns anvertrauten Informationen stets sorgfältig und gewissenhaft umzugehen.

Daher war für uns von Anfang an klar: Wir arbeiten mit sensiblen Daten von Kindern und Jugendlichen, die auf keinen Fall in die Hände irgendwelcher Softwarekonzerne fallen dürfen. Das Thema „Datenschutz“ hat bei uns grundsätzlich den hohen Stellenwert, den es verdient. Bild- und Tondokumente, Namen, Adressen und vieles mehr von Minderjährigen gilt es zu schützen – ohne Wenn und Aber.

Somit kamen fast alle bekannten Softwarelösungen für uns nicht in Frage. Unsere Kinder haben ein Recht darauf, dass die Vertraulichkeit ihrer Daten hundertprozentig gewährleistet ist – was bei den kommerziellen Anbietern jedoch nicht mit absoluter Sicherheit garantiert werden kann. Die AGBs vieler Anbieter beinhalteten viele schwammige und dubiose Formulierungen.

Ziel: Mündigkeit. Werkzeug: Freie Software.

Außerdem wollen wir als Schule unsere Schülerinnen und Schüler zu mündigen Erwachsenen erziehen. Dazu gehört für uns auch, dass wir im Informatikunterricht großen Wert auf das Thema „open source“ legen. Den Kindern und Jugendlichen soll stets bewusst sein, dass Verträge, Abos und proprietäre Software immer auch Abhängigkeit von anderen bedeutet – und dass die Machtverhältnisse zwischen Softwarekonzernen und Nutzern in vielen Fällen sehr einseitig sind. Welche geheimen Schnittstellen zum „Datenklau“ der Hersteller implementiert, bleibt meist sein Geheimnis. Anders ist dies bei freier , also Open-Source-Software. Hier bleibt der Nutzer eine mündige und freie Person und kann auch den Quellcode (entsprechende Kenntnisse natürlich vorausgesetzt) einsehen.

Von offizieller Seite und insbesondere dem lokalen Datenschutzbeauftragten wurde uns MS Teams nahegelegt, zusammen mit einer vorgefertigten Einverständniserklärung, welche für uns definitiv untragbare Bedingungen enthielt, wie zum Beispiel die Datenübermittlung in Drittstaaten außerhalb der EU. Die Schülereltern sollten von Microsoft diktierten Bedingungen zustimmen, die auch ausdrücklich beinhalteten, dass Daten ihrer Kinder in Drittstaten übertragen werden dürfen. Wolfgang Brey, der in seiner Funktion als Schulleiter zugleich oberster Datenschützer der Schule ist, wollte – wie auch die im IT-Bereich versierten Kollegen – auf keinen Fall, dass dies den Heranwachsenden an unserer Bildungseinrichtung zugemutet wird.

In dieser Situation war uns schnell klar, dass wir eine eigenständige Lösung benötigen. Guter Unterricht – auch in Zeiten der Corona-Pandemie – sollte unserer Meinung nach jedem Kind vorbehaltlos zustehen, ohne dass dafür erst die Eltern der Weitergabe von höchst sensiblen Daten an multinationale, kaum durchschaubare Konzerne zustimmen müssen. Einer als Bildungseinrichtung bezeichneten Institution steht es nämlich nicht zu, Minderjährigen sowie ihren Eltern das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu nehmen oder sie Erklärungen unterschreiben zu lassen, in denen sie einem leichtfertigen Umgang mit ihren personenbezogenen Daten zustimmen sollen – während wir Lehrkräfte gleichzeitig die Heranwachsenden stets im Unterricht auf den Datenschutz hinweisen.

Guter Unterricht – auch in Zeiten der Corona-Pandemie – sollte unserer Meinung nach jedem Kind vorbehaltlos zustehen, ohne dass dafür erst die Eltern der Weitergabe von höchst sensiblen Daten an multinationale, kaum durchschaubare Konzerne zustimmen müssen. (Achim Shaukat)

Vorbereitung der Infrastruktur: Server mieten

All diese Gedanken führten dazu, dass sich auf Initiative des Schulleiters die Informatiklehrkräfte Andreas Reichinger und ich, Achim Shaukat, zusammensetzten und eine eigenständige Lösung entwickelten. Nebenbei sei angemerkt, dass dieses Konzept mit Betriebskosten von unter 50 Euro im Monat (inkl. aller Steuern) überaus kostengünstig ist.

Zunächst mieteten wir einen Rootserver bei der Hetzner Online AG an. Bei der Erstinstallation und Inbetriebnahme (natürlich verwendet der Server das freie Betriebssystem LINUX) unterstützte uns dankenswerterweise der Autor der in Fachkreisen bekannten LINUX-Admin-Tutorials-Seite adminforge.de, Stefan Giebel, der genau wie wir auf Datenschutz größten Wert legt.

Der Server selbst ist und bleibt in der Hand der Schule und wird von den Informatiklehrkräften betreut. Somit ist die Einhaltung des Datenschutzes und die Wahrung des Dienstgeheimnisses stets gewährleistet. Bei anderen Lösungen – egal von welchem Anbieter – besteht grundsätzlich die Gefahr, dass die mit der Server- bzw. Programmverwaltung betrauten schulfremden Personen dieser IT-Unternehmen sensible Daten unserer Schutzbefohlenen abgreifen könnten!

Kommunikation via Jitsi-Meet

Auf Basis der Open-Source-Software „Jitsi Meet“ entstand zunächst unser schuleigener Konferenzserver. Um etwaigen Problemen (z.B. Cybermobbing unter den Kindern und Jugendlichen außerhalb der Unterrichtszeit) vorzubeugen, können Konferenzen nur zusammen mit einer anwesenden Lehrkraft geführt werden. Selbstverständlich ist unsere Jitsi-Meet-Installation in der datenschutzfreundlichsten Variante konfiguriert: Beim Start sind Kamera und Mikrofon grundsätzlich deaktiviert, die Schüler nutzen nur ihren Vornamen oder wahlweise ihre Initialen. Eine Aufzeichnung der Inhalte ist nicht vorgesehen, ebenso werden die Verbindungsdaten von uns nicht ausgewertet und nach extrem kurzer Frist automatisch gelöscht.

Die Vorteile von Jitsi-Meet selbst liegen auf der Hand: Die Nutzung ist mit beliebigen Endgeräten im Browser möglich (wenngleich auch manche Nutzer die App – wir verweisen ausdrücklich auf freie Appstores – bevorzugen). Die Oberfläche selbst ist intuitiv bedienbar und auch für Migranten, die noch keine guten Deutschkenntnisse haben, in ihrer Landessprache verfügbar (an unserer Schule gibt es viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund).

In der Praxis hat sich dieser Videochat-Server sehr bewährt. Vor allem in der Zeit der geteilten Klassen konnte so eine adäquate Beschulung der „Daheimgebliebenen“ erfolgen. Alles, was in den Klassenzimmern an der digitalen Tafel (oder unter der Dokumentenkamera) gezeigt bzw. geschrieben wurde, kann direkt an die Endgeräte der Schülerinnen und Schüler zu Hause übermittelt werden. Dank unserer mit Mikrofonen versehenen Dokumentenkameras ist es auch ein Leichtes, den Lehrer aus der Ferne gut zu verstehen.

Aktuell während des gerade stattfindenden Lockdowns haben unsere Lehrer Leih-Dokumentenkameras mitbekommen, um von zu Hause aus Unterrichtsinhalte optimal präsentieren zu können. Alle Kinder und Jugendlichen haben bei uns zudem grundsätzlich die Möglichkeit, kostenfrei ein optimal für den Fernunterricht vorbereitetes Notebook von der Schule auszuleihen.

Bereitstellung von Lernmaterial via Nextcloud

Neben der Bild- und Tonübertragung gab es jedoch noch ein anderes Problem: die Bereitstellung von Lernmaterial. Recht bald war uns auch klar, dass wir eine eigenständige Cloud-Lösung benötigen, da die Lernplattform MEBIS regelmäßig ausfiel (was auch beim aktuellen Dezember-Lockdown der Fall war). Zudem ist diese Seite ziemlich unübersichtlich.

Daher haben wir uns entschieden, auf Basis der (natürlich ebenfalls freien) Software Nextcloud eine eigene Lernplattform zu entwickeln. Der Vorteil liegt auf der Hand: Schülerinnen und Schüler können in von den Lehrkräften freigegebenen Ordnern Unterrichtsinhalte finden, in anderen Ordnern ihr zu Hause bearbeitetes Material ablegen. Diese Unterlagen bekommt die entsprechende Lehrkraft direkt in einen Ordner, welcher (analog zu Lösungen wie MS OneDrive) direkt in den Explorer des PCs integriert ist.

Bearbeitung von Dokumenten via Onlyoffice

Doch unsere Cloud-Lösung ist nicht nur eine reine „Verteilplattform“. Via Onlyoffice – einer freien und quelloffenen Software, die eine gute Alternative zu Microsoft Word darstellt -, ist eine Bearbeitung von Dokumenten direkt im Browser möglich, ohne dass die Schülerinnen und Schüler zusätzliche Software benötigen. Auf diese Art und Weise ist es jedoch nicht nur möglich, dass Schülerinnen und Schüler eigene Texte bearbeiten, sondern auch gemeinsam z.B. an einem Aufsatz schreiben können, ohne dass jedes Kind diesen einzeln mühsam erst herunter- und danach wieder hochladen muss.

Selbstverständlich bleibt die Entwicklung hierbei nicht stehen. Wir sind stets mit Elan und Eifer bei der Sache, unser Konzept im Einklang mit der Schülerschaft, den Lehrkräften und auch den Eltern zu verbessern.

Nicht entmutigen lassen!

Von Schulamts- oder Regierungsseite gab es keine besonderen Vorgaben oder nennenswerten Einschränkungen. Unser Glück ist: Das lokale Schulamt Kelheim und insbesondere unser Schulleiter Wolfgang Brey stehen Innovationen stets positiv und aufgeschlossen gegenüber!

Doch ausgerechnet der örtliche Datenschutzbeauftragte empfahl uns in aller Deutlichkeit die Verwendung der vom Kultusministerium bereitgestellten Lösung auf Basis von MS-Teams. Auch wenn er diese ausdrücklich als datenschutzrechtlich sicher bezeichnete, ist es unserer Meinung nach ganz anders - man muss nur die Einwilligungserklärung lesen, in der die Weitergabe von Daten in Drittstaaten sogar explizit erwähnt wird, ein Aspekt, welcher aus Datenschutzsicht mehr als fragwürdig ist.

Von dessen Einwänden hat sich unser Rektor allerdings nicht beirren lassen und uns weiterhin den Rücken für den Aufbau unserer eigenen Lösung, bestehend aus Jitsi-Meet und Nextcloud freigehalten.

Gerne stehen wir auch anderen Schulen mit Rat und Tat zur Seite, wenn es darum geht, selbst datenschutzfreundliche Lösungen zu entwickeln. Denn: Schulen, die Kinder zu mündigen Erwachsenen erziehen wollen, dürfen niemals vergessen, dass Grundrechte nicht verhandelbar sind. Und dies gilt auch für das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten. Anscheinend wird übersehen, dass dieses Recht trotz Corona weiter Bestand hat, und an dieser Stelle sei angemerkt, dass es sich hierbei sogar nicht nur um ein deutsches, sondern sogar ein europäisches Grundrecht handelt – nachzulesen in Artikel 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie in Artikel 16 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

In unserer Artikelreihe „Datenschutz im Bildungswesen“ erklären wir, wieso Software von Microsoft, Google & Co. nichts an Bildungsinstitutionen zu suchen hat.

Auch im DigitalPakt Schule wird Freie Software aus gutem Grund priorisiert gefordert (Teil 1).

Wir erklären außerdem, wie negativ sich proprietäre (geschlossene) Software auf Medienkompetenz auswirkt (Teil 2),

zeigen auf, welche datenfressende Software bereits an Schulen im Umlauf ist (Teil 3)

und welche besseren freien Alternativen es gibt (Teil 4).

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